domradio.de: Tourismus wird im Allgemeinen als Ursache für Umweltprobleme gesehen. Sie meinen aber, dass Tourismus auch als Teil nachhaltiger Entwicklung funktioniert - wie kann man sich das vorstellen?
Antje Manshausen (Mitarbeiterin vom Projekt "Tourism Watch" des Hilfswerks "Brot für die Welt"): Es gibt verschiedene Formen von Tourismus. Wir sehen, dass der Tourismus in seiner globalen Form und Entwicklung für viele Gemeinschaften ein Armutsrisiko darstellt und nicht zur nachhaltigen Entwicklung beiträgt. Das kritisieren wir stark, auch gemeinsam mit Partnerorganisationen weltweit. Wenn Tourismus nachhaltig gestaltet werden soll, muss in Betracht gezogen werden, welche Auswirkung der Tourismus auf die Umwelt, das Klima und die Menschen in den Zielgebieten hat und ob er erlaubt, ein gegenseitiges Kennenlernen und einen Perspektivwechsel zu bekommen. In der Realität haben wir daran unsere Zweifel. Trotzdem kann man verantwortungsvoll reisen, indem man Verantwortung für die Umwelt und die Menschen vor Ort übernimmt. Dazu gehört auch die Anreise, also der Verzicht auf vermeidbare Flüge. In Europa ist es nicht nötig, ins Flugzeug zu steigen, da kann der Weg schon das Ziel sein, indem ich eine Zugreise an verschiedenen Stationen unterbreche und somit schon bei der Anreise ein touristisches Erlebnis habe.
domradio.de: Gibt es noch andere Möglichkeiten, außer das verkehrsfreundlichste Verkehrsmittel zu wählen?
Manshausen: Die Vorbereitung ist sehr wichtig, indem man schaut, wie es gesellschaftlich in dem Land aussieht, wie die Rolle der Frau und das politische System aussehen. Da wir in einem Informationszeitalter leben, gibt es dazu viele Informationen, die man sammeln und zu denen man sich vorbereiten kann, um damit vor Ort bessere Entscheidungen zu treffen. Außerdem engagieren wir uns dafür, dass Menschen länger vor Ort bleiben. Wenn ich länger bleibe, bin ich einerseits kulturell aktiver unterwegs, weil ich mich akklimatisiere und den Kulturschock überwinden kann. Außerdem sind es ökonomische Faktoren, wenn ich länger an einem Ort bleibe, in kleineren Restaurants essen gehe und nicht die ganze Zeit im gleichen Hotel bleibe.
domradio.de: 'Länger bleiben' bedeutet dann weniger Urlaube insgesamt, aber dafür länger an einem Ort?
Manshausen: Schlussendlich bedeutet länger bleiben auch besser reisen, indem man mehr mitbekommt. Jeder kann sich an Urlaube erinnern, wo man angekommen und wieder weggefahren ist und zwischendurch den Eindruck hatte, dass man nur ein paar Sachen kennengelernt hat und gerne mehr mitgenommen und vertieft hätte.
domradio.de: Ihr Projekt soll es Touristen ermöglichen, durch Kontakt mit anderen Menschen ein tieferes Verständnis für andere Lebensformen und Traditionen zu gewinnen. Was läuft denn in der Tourismusbranche falsch, dass das nicht immer der Fall ist?
Manshausen: Wir sehen den Trend zu immer weiteren, kürzeren und exotischeren Reisen. Das ist das Gegenteil von dem, was wir uns vom Tourismus wünschen. Wir sehen in der politischen Situation in vielen beliebten Urlaubsgebieten - in der Türkei oder in Nordafrika -, dass Menschen zwar weiterhin in diese Gebiete reisen, aber mit einer großen Angst im Hintergrund und daher lieber in ihren Hotels bleiben, anstatt in die Altstädte zu gehen oder sich im Land zu bewegen. Das ist problematisch. Wir sind derzeit (8.-12. März, Anm. d. Red.) auf der Internationalen Tourismus-Börse, der weltweit größten Tourismusmesse in Berlin, da sehe ich etwas anderes, nämlich den blinkenden und glitzernden Tourismus. Gegenüber von uns ist ein Stand, der Mond- oder Astronomie-Tourismus betreiben möchte. Das ist alles andere als eine nachhaltige Entwicklung im Tourismus, und es schadet den Menschen vor Ort.
domradio.de: Also sehen Sie dort im Moment noch keinen Gesinnungswandel im Tourismus, sind Sie quasi Einzelkämpfer?
Manshausen: Nein, wir sehen, dass mittlerweile viele Organisationen und Unternehmen anfangen, sich Gedanken zu machen -die einen stärker und die anderen weniger stark. Aber wir befinden uns vor dem Gipfel dessen, was zu erreichen notwendig wäre. Es ist noch viel Raum für Verbesserungen da.
Das Gespräch führte Tobias Fricke.