Theologin Nauer kritisiert die Situation der Seelsorge in katholischen Altenheimen

Kirchliches Kerngeschäft

Die Theologin Doris Nauer hat bundesweit nach Umfang und Qualität der Seelsorge in christlichen Altenheimen gefragt. Im Interview erläutert die Expertin die teils alarmierenden Studienergebnisse - und fordert mehr Engagement der Kirche.

Autor/in:
Volker Hasenauer
Seelsorge im Altenheim / © Oliver Berg (dpa)
Seelsorge im Altenheim / © Oliver Berg ( dpa )

Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Frau Professor Nauer, wer ein gutes Altenheim sucht, dürfte sich zuerst für die Qualität der Pflege und die Ausstattung der Zimmer interessieren. Sie sprechen sich aber energisch für ein breites seelsorgliches Angebot aus. Warum?

Professor Doris Nauer (Theologin): Weil eine professionelle Seelsorge die gesamte Einrichtung bereichert. Seelsorger sind wichtig sowohl für die Bewohner und ihre Angehörigen als auch für das Personal und die Leitungsverantwortlichen eines Altenheims.

KNA: Inwiefern? Um welche Themen, Fragen und Nöte geht es?

Nauer: Senioren, die neu in ein Heim kommen, sind häufig in einer schwierigen Situation: Sie haben ihr gewohntes Umfeld verlassen und müssen Vieles loslassen. Wer bereits länger im Heim lebt, fühlt sich oft einsam. Hier können Seelsorger den Menschen beistehen und sie spüren lassen, dass sie nicht vergessen sind. Auch die Mitarbeiter, die oft an die Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit kommen, brauchen jemanden, der sie unterstützt, mit dem sie auch einmal ein persönliches Wort sprechen können.

KNA: Aber wie soll eine bereichernde Seelsorge konkret aussehen?

Nauer: Das Wichtigste ist, dass Seelsorge nicht völlig planlos geschieht. Es braucht ein Seelsorgekonzept, in dem hinterlegt ist, was mit Seelsorge bezweckt wird, was alltagspraktisch getan werden soll und wer genau es auf der Basis welcher Qualifikationen tun soll. Wir brauchen eine zeitgemäße Altenheimseelsorge, und keine bloße Altenseelsorge.

Dabei sind drei einander ergänzende Dimensionen wichtig. Erstens die heilsame Dimension: Hier gilt es, für Menschen einfach da zu sein, ihnen zuzuhören, mit ihnen zu lachen, zu singen und manchmal auch Klagen oder Schweigen mit auszuhalten. Zweitens die spirituelle Dimension: Ziel ist es hier, spirituelle Kraftquellen zu erschließen, die helfen, Antworten auf die existenziellen Fragen wie die nach dem Sinn, nach Gott oder nach einem Leben nach dem Tod zu finden.

Drittens die diakonische Dimension: Dies meint, Seelsorge als eine Sorge im und am komplexen System Altenheim zu begreifen. Gerade in christlichen Häusern verlangt dies, dass Seelsorge sich in die Pflicht nehmen lässt, mit darauf zu achten, ob wirklich "christlich drin ist, wo christlich drauf steht".

KNA: Dies alles scheint aber mit Blick auf Ihre Studie eher wenig mit der tatsächlichen Situation vor Ort zu tun zu haben. Ihre Befunde klingen eher alarmierend.

Nauer: Ja, denn leider zeigt die Befragung der deutschen Bistümer und Diözesancaritasverbände, dass die Bedeutung der Seelsorge zwar theoretisch erkannt wird, sie aber nicht flächendeckend sichergestellt wird. Gegenwärtig treffen wir zwar in den meisten katholischen Altenheimen noch immer auf Seelsorger. Wenn es sich dabei um theologisch qualifizierte Profi-Seelsorger handelt, dann sind dies aber zumeist Seelsorger, die Altenheime aus den pastoralen Großräumen heraus mitversorgen. Oft sind sie stark überlastet. Das Modell, dass Profi-Seelsorger ausschließlich für ein Altenheim oder mehrere Häuser zuständig sind, weshalb sie in engem persönlichen Kontakt mit den Bewohnern, dem Personal und der Leitung stehen, ist bereits jetzt aufgrund des eklatanten Personalmangels in allen Diözesen ein Auslaufmodell.

KNA: Was schlagen Sie also stattdessen vor?

Nauer: Wir schlagen vor, dass sich die deutschen Bistümer und Diözesancaritasverbände ihrer Verantwortung für die Altenheimseelsorge noch aktiver stellen, als sie dies bereits gegenwärtig tun. Wir plädieren dafür, dass gemeinsam kreative Lösungen gesucht werden, wie eine glaubwürdige Altenheimseelsorge personell und finanziell sichergestellt werden kann.

Altenheimseelsorge ist kirchliches Kerngeschäft! Will die katholische Kirche in der Gesellschaft an Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, dann sollte sie gerade dort mit ihrem Personal zur Stelle sein, wo Menschen Not leiden und Unterstützung brauchen. Als Kirche schulden wir unseren alten Menschen eine Seelsorge, die den Bistümern und den Trägern tatsächlich wehtut, weil sie etwas kostet!

KNA: Aber woher sollen angesichts des Priester- und Theologenmangels die von Ihnen geforderten Seelsorge-Profis denn überhaupt kommen? Wäre es nicht besser, viel stärker auf Ehrenamtliche zu setzen oder Pflegende entsprechend zu schulen?

Nauer: Einige Bistümer wie etwa Köln versuchen dies ja bereits. Eine durchaus erfreuliche Initiative, die jedoch das Grundsatzproblem nicht beheben kann. Seelsorglich qualifizierte Mitarbeiter und ehrenamtlich Engagierte können schlichtweg nicht das leisten, was eine zeitgemäße Seelsorge inhaltlich einfordert. Wie soll sich eine Mitarbeiterin seelsorglich um die Nöte ihrer Kollegen kümmern? Hier braucht es doch gerade Distanz, sprich den "Blick von Außen". Zudem kann man niemanden per Schnellkurs zu einem Mini-Theologen machen, der einen Profi-Theologen ersetzen könnte. Für die anspruchsvolle Tätigkeit als Altenheimseelsorger brauchen wir deshalb Teams, in denen Profi-Seelsorger, seelsorglich qualifizierte Mitarbeiter und Ehrenamtliche Hand in Hand arbeiten. Und: Im 21. Jahrhundert muss auch die Altenheimseelsorge ökumenisch und interreligiös vernetzt aufgestellt sein.

KNA: Wie zuversichtlich sind Sie, dass Ihre Studie etwas ins Rollen bringt?

Nauer: Uns ist klar, dass auf dem Feld der Altenheimseelsorge wenig Ruhm und Ehre für die dafür Verantwortlichen zu holen ist. Alte Menschen sterben und überlastete Mitarbeiter tauchen ab. Und dennoch: Auch wenn dort niemand "missioniert" werden kann und kirchliches Engagement in Altenheimen öffentlich kaum wahrgenommen wird: In der Spur Jesu Christi zu bleiben, verlangt von uns: Engagement genau dort, wo es vielleicht "nichts bringt". Unsere Kirchen werden sich fragen lassen müssen, worin sie ihr Kerngeschäft sehen. Sie werden offenlegen müssen, was ihnen unsere alten Menschen und die vielen Mitarbeiter im Gesundheitswesen wortwörtlich wert sind.


Quelle:
KNA