Der Italien-Korrespondent der FAZ im Interview

"Noch nie hat ein Papst die Mafia exkommuniziert"

In Kalabrien, wo die Mafia im Febraur einen kleinen Jungen ermordet hatte, hat Papst Franziskus die Machenschaften des organisierten Verbrechens scharf verurteilt. Eine Einschätzung von Jörg Bremer, Italien-Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Beerdigung des dreijährigen Coco, ermordert von der Mafia (dpa)
Beerdigung des dreijährigen Coco, ermordert von der Mafia / ( dpa )

domradio.de: Herr Bremer, scharfe Worte gegen die Mafia. Wie mutig ist das vom Papst?

Bremer: Es ist ja nicht das erste Mal, dass ein Papst gegen die Mafia wettert, aber es ist das erste Mal, dass ein Papst, Franziskus in diesem Falle, die Mafia exkommuniziert. Ob das nun eine Spruchstrafe ist, oder ob er nur einfach die Unvereinbarkeit zwischen Kirche und organisiertem Verbrechen feststellt, mag dahingestellt sein, aber es ist das erste Mal, dass er wirklich dieses Wort verwendet und damit deutlich macht, dass es - und das ist ja bei der `Ndrangheta, bei dieser kalabresischen Mafia das Normale - dass man bei einer Prozession eine Reliquie eines Heiligen vornewegtragen kann und gleichzeitig kleine Kinder umbringen kann und mit Opium handeln darf. Diese Unvereinbarkeit hat er weltweit klargemacht, und nicht nur in Kalabrien. Denn Sie dürfen nicht vergessen, dass die `Ndrangheta mindestens so mächtig in Deutschland ist wie sie es in Kalabrien ist.

domradio.de: Jetzt hat die italienische Polizei heute 100 Mafia-Mitglieder in Süditalien festgenommen. Glauben Sie, das steht in direktem Zusammenhang?

Bremer: Das denke ich nicht. Das tut die Polizei am laufenden Band, denn die Gesetze in Italien sind gegenüber der Mafia wesentlich strenger als in Deutschland zum Beispiel. Und gerade vor ein paar Tagen gab es in Reggio di Calabria schon mal die Festnahme von 17 Bankern. Also Bankiers  innerhalb der Mafia, die Geld ausgeliehen haben für Unternehmer, die in irgendwelche wirtschaftlichen Schwierigkeiten geraten sind. Nein, da gibt es keine Zusammenhänge.

domradio.de: Der süditalienische Bischof Galantino (Nunzio Galantino, Bischof von Cassano all' Jonio, Anm. d. Red.) hat konkrete Konsequenzen gefordert. Er sagt zum Beispiel, Priester dürfen Mafiosi  jetzt keine Sakramente mehr spenden. Geht die Debatte also noch weiter in Italien nach der Predigt?

Bremer: Das wäre gut so, denn wir haben ja den Papst zum Beispiel in Lampedusa gehabt, wo er dagegen gewettert hat wie die Europäische Union und die Italiener mit den Migranten in Afrika umgehen. Aber danach ist nichts erfolgt. Wir haben seine Rede in Cagliari auf Sardinien gehabt, wo er dagegen geschimpft hat, dass die Leute arbeitslos sind und keine Arbeitsplätze für sie geschaffen werden - es ist nichts daraus erfolgt. Und nun wäre es eben gut, dass bei diesem dritten Besuch eines Papstes, bei dieser starken Rede gegen die Mafia, wirklich praktische Schritte erfolgen. Und da käme es vor allen Dingen darauf an, die Priester zu stärken in den Gemeinden. Die Gemeinden selbst zu stärken gegenüber jenen Mitgliedern innerhalb der Gemeinden, die zur Mafia gehören. Und da wäre es gut, wenn praktische Schritte folgen würden.

domradio.de: Der Papst gilt ja in der Kirche als großer Hoffnungsträger. Heißt das, er wird jetzt auch noch zu einer Art Galionsfigur im Kampf gegen das organisierte Verbrechen?

Bremer: Die Hoffnung könnte man haben. Diese Predigt richtet sich gegen die Mafia, aber die Mafia hat ja auch was mit der Arbeitslosigkeit der Menschen zu tun. Sie hat auch was mit dem Umgang von Migranten zu tun. Wenn wir daran zurückdenken, wie in Rosarno in Kalabrien Migranten schlecht behandelt wurden, Schwarze aus Ghana und Nigeria, die da wie Sklaven eingesetzt werden im Winter bei der Ernte von Zitronen und Apfelsinen. Insofern passt das ja alles zusammen, gehört auch zusammen.

domradio.de: Gibt es denn eigentlich auch Befürchtungen, dass sich die Mafia diese Worte des Papstes jetzt nicht gefallen lässt? Man erinnert sich an 1993, als Papst Johannes Paul deutliche Worte fand - und da gab es in der Folge dann Anschläge und ermordete Priester.

Bremer: Ja, natürlich. Und wir hatten das ja - das war ja auch ein Thema dieses Besuches in Kalabrien - im März vergangenen Jahres, die Ermordung eines Geistlichen in einem kalabresischen Ort. Der Papst ist jetzt mit dem Mörder zusammengekommen und hat ihn seinen "Freund" genannt. Er weiß genau, wie da die Verhältnisse sind. Diese Gefährdung ist groß. Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite muss man schon sehen, dass es der Mafia immer, immer schwerer fällt, innerhalb der Gemeinden, innerhalb der Ortschaften Anhänger zu finden. Es gibt immer mehr Leute, die aus der Mafia ausbrechen und versuchen, ein Leben außerhalb der Mafia zu finden und womöglich auch bereit sind, gegen die Mafia auszusagen. Das heißt, das Blatt wendet sich. Ein großes Problem für die Staatsanwaltschaften hier ist es, dass zum Beispiel bei einer Verfolgung der Mafia in Deutschland man weniger rigoros ist als hier. Sie müssen sich vor Augen führen, dass das illegale Geld, was über den Opium-Kauf über Südamerika, Spanien, nach Kalabrien in Italien gewonnen wird, von der `Ndrangheta in Kalabrien meistens oder in großen Teilen in Immobilienkäufe in Deutschland eingesetzt wird. Im alten Ostberlin zum Beispiel, in Leipzig und in Dresden, ganze Stadtviertel, ganze Wohnplattenbauten sind dort von der `Ndrangheta gekauft worden.

domradio.de: Glauben Sie, dass es auch noch einmal eine Debatte gibt über das Verhältnis von Kirche und Mafia? Es gab ja immer wieder Spekulationen um Verstrickungen des Vatikans, vor allem der Vatikanbank mit der Mafia.

Bremer: Nein, das Thema ist vorbei. Wir haben ja jetzt seit anderthalb Jahren einen ganz, ganz klaren, sauberen Kurs, den Benedikt XVI. bereits begonnen hat. Das Thema Vatikanbank und Mafia ist Geschichte.

Das Gespräch führte Matthias Friebe.


Franziskus in Kalabrien (dpa)
Franziskus in Kalabrien / ( dpa )

Die Mutter des ermordeten Coco Campolongo (dpa)
Die Mutter des ermordeten Coco Campolongo / ( dpa )
Quelle:
DR