Über die Rolle der Kirchen in der Ukraine

"Für die Einheit der Ukraine wichtig"

Bei den jüngsten Protesten gegen die Regierung in Kiew wurden auch die Spannungen unter den orthodoxen Kirchen in der Ukraine deutlich. Dr. Thomas Nemeth, Leiter des ostkirchlichen Instituts in Würzburg, gibt im domradio.de-Interview einen Überblick.

Orthodoxe Priester auf dem Maidan (dpa)
Orthodoxe Priester auf dem Maidan / ( dpa )

domradio.de: So ganz blickt man ja nicht durch bei den vielen Kirchen, die es in der Ukraine gibt. Können Sie denn einen kurzen, einfachen Überblick geben?

Nemeth: Die Ukraine hat tatsächlich eine sehr vielfältige Kirchenlandschaft. Es gibt, grob gesprochen, vier größere Kirchen, die aus der byzantinischen Tradition, also von Konstantinopel her kommen. Das ist die bereits erwähnte ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats, dann gibt es eine ukrainisch-orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats, die sich 1992 für selbstständig erklärt hat und dann ebenfalls eine Moskau-unabhängige ukrainisch-autokephale orthodoxe Kirche. Auf katholischer Seite gibt es dann, neben der kleineren römisch-katholischen Kirche, die ukrainisch-griechisch-katholische Kirche, die ebenfalls der byzantinischen Tradition angehört. Und daneben ist natürlich auch der Protestantismus in der Ukraine vertreten, das Judentum und der Islam.

domradio.de: Wir haben ja alle die Proteste verfolgt, die in Kiew auf dem Maidan stattgefunden haben. Wie haben sich denn dort die Kirchen positioniert?

Nemeth: Der Maidan war eine breite Bürgerbewegung und diese friedlichen Proteste wurden auch vom so genannten Allukrainischen Rat der Kirchen der Ukraine als legitim anerkannt. Daneben waren einzelne Kirchen auch auf verschiedene Art präsent. Es gab auf dem Maidan zum Beispiel auch Kapellen, und hier waren besonders das Kiewer Patriarchat und die griechisch-katholische Kirche aktiv tätig, aber auch Vertreter der anderen Religions- und Kirchengemeinschaften haben auf dem Maidan gesprochen. Bei der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats gibt es also ein Spektrum zwischen einem ukrainischen und einem russischen Flügel und dementsprechend versuchte also die Kirchenleitung diesen Spagat zu meistern und wenigstens das Regime nicht offen zu unterstützen, was aber einige der Bischöfe dennoch getan haben. Die Kirchenleitung in Moskau selbst hat sich ja offiziell erst nach nach dem Sturz von Janukowitsch zu Wort gemeldet, aber einige ihrer Vertreter haben schon vorher gezeigt, dass sie eigentlich gegen die Proteste sind.

domradio.de: Sie haben ja vorhin auch die katholische Kirche in der Ukraine erwähnt. Welche Rolle spielt die denn jetzt, vor allem vor dem Hintergrund der gegenwärtigen politischen Ereignisse?

Nemeth: Katholischerseits war besonders die größere ukrainisch-griechisch-katholische Kirche sehr aktiv auf dem Maidan. Auf römisch-katholischer Seite gab es auch Kirchenvertreter, die sehr deutliche Worte gefunden haben zugunsten der Werte, die auf dem Maidan vertreten werden. Für den Großerzbischof der ukrainisch-griechisch-katholischen Kirche war es sehr wichtig, dass die Kirche bei den Menschen steht, dass sie den Kampf für Gerechtigkeit und Freiheit auch teilt. Es gab dann auch Repressionen gegen die ukrainisch-griechisch-katholische Kirche von staatlicher Seite, wo sich dann gerade auch andere Kirchenvertreter solidarisiert haben.

domradio.de: Was wünschen Sie sich jetzt, wie es mit der Rolle der Kirche weitergeht in der Ukraine?

Nemeth: Die Kirchen waren bisher schon die Einrichtungen, die in der ukrainischen Gesellschaft ein sehr großes Vertrauen genießen. Und ich wünsche mir für die Kirchen, dass sie für die Einheit des Landes arbeiten, die ja jetzt gerade so wichtig ist und die Versöhnungsarbeit vorantreiben und einfach auch in der Gesellschaft präsent sind, wo ihre Stimme sehr wichtig ist - gerade auch in so einer Umbruchszeit.

Das Gespräch führte Tobias Fricke.


Quelle:
DR

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