domradio.de: "Reformation und Politik" heißt Ihr neues Themenjahr, das mit dem Reformationstag beginnt. Welche Impulse erhoffen Sie sich?
Manfred Rekowski (Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland): Wir erinnern uns einfach daran, dass vom christlichen Glauben her immer der Aspekt der Weltverantwortung mit dazu gehört. Es geht nicht nur um das Führen, sondern es geht auch um das Tun und daran wollen wir uns gemeinsam erinnern. Es ist ja nun so, wenn man auf das schaut, wo wir gesellschaftlich und politisch gefordert sind, da haben wir uns als Christen auch an ganz unterschiedlichen Stellen einzubringen.
domradio.de: In ihrem Themenheft heißt es, von Anfang an habe die Reformation auch politisch gewirkt. Tun das die evangelischen Kirchenheute auch noch?
Präses Rekowski: Ja, wir haben in der Barmer Theologischen Erklärung, die für uns ja auch noch wichtiges Dokument in der reformatorischen Tradition ist. Darin heißt es, Jesus Christus ist Zuspruch und Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben. Also nicht nur, wie leben wir in menschlichen Beziehungen, wie gehen wir mit Geld um, sondern wie geht es auch im Bereich der Politik zu. Unser Verständnis ist so, dass wir als Christen, die Regierenden und die Regierten erinnern, an das wofür sie einzutreten haben: nämlich für Recht und Frieden. Und das ist ein Dauerauftrag.
domradio.de: In Berlin verhandelt man momentan über die große Koalition. Welche Hoffnungen verbinden Sie mit diesen Verhandlungen von kirchlicher Seite?
Präses Rekowski: Ich wünschte mir, dass es nicht nur Formelkompromisse gibt oder dass wir das Zusammenleben verwalten, sondern dass wir uns auch den Fragen stellen, die einfach dran sind. Papst Franziskus hat das ja auch sehr eindrücklich zum Thema gemacht, wie wir etwa mit Flüchtlingen umgehen. Da kann es nicht sein, dass wir in Berlin regieren ohne auch Antworten auf diese Fragen zu finden. Damit meine ich nicht nur Staatsbegräbnisse zu organisieren, wenn in Lampedusa wieder einige Menschen schrecklicher Weise ertrunken sind, sondern dass wir uns mit den Fluchtursachen befassen müssen und überlegen müssen, welche Verantwortung haben wir, was können wir tun.
Oder wenn es um die Bewahrung der Schöpfung geht, dann ist es wirklich dringend notwendig, dass wir miteinander nicht nur danach fragen, wie können wir unseren Wohlstand erhalten, sondern wie können wir unsere Welt, unsere Schöpfung, der nächsten und übernächsten Generation übergeben und Schadensbegrenzung tun angesichts der Klimaproblematik.
Ich denke, das sind Themen, die liegen oben auf und damit muss die Politik sich auch befassen.
domradio.de: Mit dem neuen Themenjahr geht es in der Vorbereitungsdekade auf das große Reformationsjubiläum 2017 sozusagen in die zweite Halbzeit. Wie sind Sie mit den ersten fünf Jahren zufrieden?
Präses Rekowski: Ich finde, zehn Jahre ist schon ein langer Anlauf, wenn ich das mal so etwas selbstkritisch sagen kann, aber wir merken, dass wir doch wirklich an sehr wichtige Fragen kommen. Ich bin persönlich der Auffassung, wenn wir das Reformationsjubiläum dazu nutzen, um uns gemeinsam an die Quellen des Glaubens zu erinnern, dann ist das nicht nur gut für die evangelische Kirche, sondern dann ist das auch ein guter Ansatz für ein ökumenisches Miteinander und da bin ich zutiefst überzeugt, dass wir das brauchen. Da brauchen wir Fortschritte auf einem gemeinsamen ökumenischen Weg und ich glaube, das kann gelingen, wenn man sich gemeinsam an die Quelle des Glaubens erinnert.
domradio.de: Wer über den Reformationstag spricht, der kommt am Thema Ökumene nicht vorbei. Sie feiern den Reformationsgottesdienst in Wuppertal ökumenisch. Wie kommt es dazu?
Präses Rekowski: Das ist seit 1964 eine alte Tradition, dass die Gemeinde Gemarke, mit der benachbarten katholischen St. Antoniusgemeinde an diesem Tag immer einen ökumenischen Gottesdienst feiert. Das ist, glaube ich, schon ein sehr gutes Zeichen. Ich vermute auch, dass das eine Konsequenz des Zweiten Vatikanums und der ökumenischen Impulse damals Anfang der 60er Jahre gewesen ist, dass man das begonnen hat und ich freue mich sehr auf diesen Gottesdienst. Das ist auch meine Erfahrung, einerseits wenn man zurückschaut auf die Quellen des Glaubens, aber andererseits dann genauso entschlossen noch einmal schaut, wo sind wir als Christen eigentlich herausgefordert durch unsere Zeit, durch unsere Welt. Da merkt man im ökumenischen Miteinander geht eine ganze Menge trotz der Dinge, die uns immer noch trennen.
domradio.de: Wie sehen Sie die Stimmung aktuell zur katholischen Kirche?
Präses Rekowski: Ich glaube, wir spüren gemeinsam, dass die Rolle der Kirche in unserer Gesellschaft nicht mehr unumstritten ist. Es gibt auch viel Gegenwind, das führt vielleicht auch noch einmal zur Besinnung, dass wir uns miteinander daran orientieren, was uns verbindet und was wir im gemeinsamen Zeugnis und im gemeinsamen Dienst eigentlich den Menschen schuldig sind. Von daher bin ich sehr hoffnungsfroh und auch Papst Franziskus empfinde ich durchaus persönlich als eine Ermutigung. Das es natürlich auch Probleme gibt im Miteinander und am Morgen hörte ich auch die Kirchenaustrittszahlen, die sich im Moment wieder sehr ungünstig entwickeln. Das sind unerfreuliche Dinge, aber ich glaube, wir müssen uns konzentrieren, was sind wir den Menschen schuldig und da können wir viel ökumenisch bewegen.
domradio.de: Viel Verwirrung gab es in diesem Jahr um das neue Familienpapier der Evangelischen Kirche. Ihr Vorgänger im Rheinland, der EKD-Ratsvorsitzende Schneider, zeigt sich offen für Korrekturen. Wird das nötig sein oder glauben Sie, der ökumenische Dialog wird da auch mögliche Verwirrung überstehen?
Präses Rekowski: Diese Irritationen im katholischen Bereich habe ich sehr deutlich wahrgenommen. Ich finde, wenn man das Papier sehr gründlich liest, dann merkt man, dass es darum geht, dass wir - da sind wir noch einmal bei dem Thema Reformation und Politik - noch einmal deutlich formuliert haben als evangelische Kirche, was ist eigentlich familienpolitisch notwendig, was muss der Staat leisten, damit Familien unterstützt werden. Da muss man natürlich auch der Vielfalt der Familienformeln und des Zusammenlebens Rechnung tragen, das tut diese Orientierungshilfe, dass sie in manchen Formulierungen nicht all das enthält, was wir zu Ehe und zum Zusammenleben auch im ökumenischen Miteinander sagen können. Das ist sicherlich ein bisschen die Schwäche dieses Papieres. Ich bin eigentlich guter Dinge, dass wir uns da noch einmal verständigen werden, denn das Zusammenleben in Familie, in der Ehe ist ja für unsere Gesellschaft in unterschiedlichen Partnerschaften etwas ausgesprochen Wichtiges. Da geht es darum, welche Werte Menschen im Zusammenleben auch leben und da, glaube ich, haben wir als Kirche auch eine Menge zu sagen, auch ökumenisch.
Das Interview führte Matthias Friebe