Heiner Geißler über Papst Franziskus

Jesus im Mittelpunkt der Botschaft

Papst Franziskus habe die "soziale und politische Dimension des Evangeliums" neu entdeckt. Das erfreut Heiner Geißler, der im domradio.de-Interview über die Hoffnungen spricht, die er in dieses Pontifikat setzt.

 (DR)

domradio.de: Herr Geißler, Sie sind ein Kritiker der katholischen Kirche. Wie bewerten Sie die aktuellen Äußerungen des Papstes zur Rolle der Frau und zum Umgang mit Homosexuellen?

Geißler: Es ist höchste Zeit! Er hat das gesagt, was Jesus auch gesagt hätte. Jesus hat Tabus gebrochen, die viel schlimmer waren. Er hat die Tabus weggefegt und den Menschen angenommen, die gesellschaftlich geächtet gewesen sind und das gilt auch für die Homosexuellen, die genauso Mitmenschen sind, für die die Kirche da sein muss.

domradio.de: Glauben Sie, dass gerade die Deutschen Papst Franziskus als Reformer sehen wollen?

Geißler: Ja, es sind ja unbedingt Reformen notwendig. Benedikt XVI. hatte die Kirche ja total spiritualisiert. Er hat von der Entweltlichung geredet. Der neue Papst hat wieder ganz klar die soziale und politische Dimension des Evangeliums entdeckt. Er wendet sich den Menschen zu und nimmt Abschied von einer menschenfremden Dogmenpolitik und Moraltheologie. Die Kirche hat sich ja in den letzten Jahrzehnen fast nur noch um die Sexualmoral gekümmert - von der Empfängnisverhütung bis zur Verweigerung der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene. Das Ehebild der katholischen Kirche ist so nicht akzeptabel. Wenn eine Frau, die mit einem Säufer verheiratet ist, der sie schlägt, betrügt, von diesem Mann nicht geschieden werden kann, und wenn sie davonläuft zu einem anderen Menschen, den sie liebt, dann lebt sie nach Auffassung der katholischen Kirche im Stande der Todsünde. Das sind alles vollkommen verquere Moralvorstellungen, die mit Jesus und dem Evangelium überhaupt nichts mehr zu tun haben.

domradio.de: Glauben Sie, der Papst setzt ganz bewusst auf Reformkurs?

Geißler: Er hat ja selber gesagt, dass Reformen notwendig sind, aber auch, dass man diese Reformen langsam und vorsichtig angehen muss. Aber dass er die Kirche verändern will, ist ganz unzweideutig. Er hat es ja schon gemacht durch seine Namenswahl. Das ist eine klare Absage an Prunk und Prokatgewänder, Reichtum. Schon alleine das hat eine unglaubliche Wirkung erzielt, und das zeigt deutlich, was dieser Papst will, er ist ja nicht umsonst Jesuit. Die Jesuiten orientieren sich an Jesus, sie wollen die Gefährten von Jesus sein und die Menschen zu dessen Gefährten machen. Das Jesus im Mittelpunkt seiner Botschaft steht, das ist die entscheidende Veränderung.

domradio.de: Was erwarten Sie sich noch von diesem Papst?

Geißler: Ich hoffe, dass er gesund bleibt, er ist ja auch nicht mehr der Jüngste. Und dass er aus der Kirche und von den Bischöfen die notwendige Unterstützung bekommt. Und dass er vor allem in der Zukunft Bischöfe ernennt, die in ihrem Wirken nicht als peinlich empfunden werden und der katholischen Kirche schaden.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Quelle:
DR

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