Migranten spielen im Bundestagswahlkampf eine wichtige Rolle

Die Stimmen der Muslime

Migranten spielen bei Wahlen eine immer größere Rolle. Viele von ihnen sind Muslime mit türkischen oder arabischen Wurzeln. Sie wollen bei den Parteien Gehör finden. Und sie werden von ihnen umworben.

Autor/in:
Andreas Gorzewski
 (DR)

Osman geht am Sonntag wählen. "Weil ich die Politik in dem Land, in dem ich lebe, mitbestimmen möchte", sagt der Automechaniker auf Türkisch. Er wirbt in einem Wahlspot der Türkischen Gemeinde in Deutschland dafür, an der Bundestagswahl teilzunehmen. "Es ist für Muslime sehr wichtig, dass ihre Belange berücksichtigt werden", betont der Vorsitzende des Islamrates, Ali Kizilkaya, in Köln.

Alle großen Parteien umwerben Zuwanderer mit deutschem Pass. Bei knappem Ausgang können diese eine Wahl mitentscheiden. Die größte Gruppe sind die 700.000 wahlberechtigten Türkeistämmigen. Daneben gibt es viele andere muslimische Wähler. Um ihre Stimmen zu gewinnen, ziehen Politiker nicht nur durch Betriebe und Einkaufsstraßen, sondern auch durch Moscheen. Die FDP verspricht in einer türkischen Broschüre, den Mittelstand zu entlasten. Die SPD wirbt auf Arabisch und Türkisch für den Mindestlohn. Andere Parteien machen es ähnlich.

Darüber hinaus haben SPD, FDP, Grüne, Linke und die Union Kandidaten mit islamischem Hintergrund aufgestellt. In Hagen kämpft Cemile Giousouf für die CDU um ein Direktmandat. Die junge Politikwissenschaftlerin erklärte nach ihrer Nominierung, dass ihre Partei eine Brücke zu den Zuwanderern bauen wolle. Bislang konnten vor allem SPD und Grüne auf die Stimmen der Deutschtürken zählen.

Rot-Grün im Vorteil

Auch diesmal kann Rot-Grün laut dem Dortmunder Sozialforschungsinstituts Futureorg mit zusammen rund 65 Prozent der deutschtürkischen Wähler rechnen. Zu anderen mehrheitlich muslimischen Wählergruppen fehlen Umfragen.

Allerdings bedeute ein türkischer oder arabischer Name nicht, dass ein Politiker auch die Interessen dieser Bevölkerungsgruppen vertrete, beklagt Kizilkaya. Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, beobachtet, dass Kandidaten mit islamischem Hintergrund nicht unbedingt für islamische Themen stehen.

Der Islam ist laut Mazyek in der heißen Phase des Wahlkampfs ohnehin in den Hintergrund gerückt. Auch über Integration werde nur am Rande diskutiert. "Beim Kanzlerduell war das kein Thema", sagt Kizilkaya. Er kritisiert, dass weder Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch SPD-Kandidat Peer Steinbrück im direkten TV-Duell näher darauf eingingen.

Wahlprüfsteine als Hilfe

Die Muslime in Deutschland sind keine einheitliche Gruppe. Längst nicht alle türkisch- oder arabischstämmigen Wähler sind religiös.Umgekehrt haben nicht alle Muslime einen Migrationshintergrund. Für ihre unterschiedlichen Interessen haben mehrere Organisationen Übersichten mit den Positionen der Parteien erstellt. So trug die Deutsche Muslim Liga zusammen, was die Parteien zu Moscheebauten, Kopftüchern und Islamfeindschaft sagen.

Dagegen stehen bei den sogenannten Wahlprüfsteinen der Türkischen Gemeinde in Deutschland nicht-religiöse Fragen im Vordergrund. Dort geht es um die Haltung der Politiker zu doppelter Staatsbürgerschaft, Rassismus oder einem EU-Beitritt der Türkei.

Daneben gibt es Themen, die Wähler unabhängig von Abstammung oder Religion interessieren. "Das Muslim-Sein ist nicht unsere einzige Identität", betont Kizilkaya, der selbst auch wählen darf. Die Muslime sorgten sich wie viele andere um ihre Arbeit und die Sicherheit ihrer Rente. Das sieht Mazyek ähnlich. Themen wie Steuern oder Verteilungsgerechtigkeit seien für alle wichtig.

"Der ausschlaggebende Punkt, warum Muslime traditionell mehr SPD oder Grüne wählen, ist weniger religiös, sondern an der sozialen Schicht orientiert", sagt Mazyek. Ein muslimischer Arzt werde vermutlich dieselbe Partei wählen wie ein nicht-muslimischer.


Quelle:
epd