Ein militärisches Eingreifen in Syrien rückt näher

Ohne Garantie auf Erfolg

Hätte sich eine "Koalition der Willigen" Ende 2011 zu einem Militärschlag gegen Assad entschlossen, wäre das Blutvergießen vielleicht gestoppt worden. Jetzt ist es viel schwieriger.

Kontrolleure unter Beschuss (dpa)
Kontrolleure unter Beschuss / ( dpa )

Unter Einsatz ihres Lebens versuchen die Chemiewaffenexperten der UN herauszufinden, ob die syrische Armee Rebellenhochburgen mit Giftgas bombardiert hat. Das Ergebnis ihrer Untersuchung könnte das Zünglein an der Waage sein, wenn Nato-Staaten wie Großbritannien, Frankreich, die USA und die Türkei in den nächsten Tagen entscheiden, ob sie einen Militäreinsatz in Syrien wagen wollen.

"Der mutmaßliche großflächige Einsatz von Chemiewaffen ist ein Tabubruch und eine schwere Verletzung der UN-Chemiewaffenkonvention", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Es handele sich ohne Zweifel um ein entsetzliches Verbrechen an Männern, Frauen und Kindern, das geahndet werden müsse. Bundespräsident Joachim Gauck forderte eine schnelle Aufklärung dieser "grausamen und menschenverachtenden Tat".

Auch der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Omid Nouripour, hält die Anwendung von Chemiewaffen für nicht hinnehmbar. Er forderte die Bundesregierung auf, alle Informationen dazu offenzulegen. Zudem rief er zur Stabilisierung der syrischen Nachbarländer Irak, Jordanien und Libanon auf. "Diese Staaten sind akut bedroht, in den Konflikt hineingezogen zu werden", sagte der Grünen-Politiker dem epd.

SPD und Linke gegen Militärschlag

Scharfe Kritik an der Haltung der Bundesregierung kam von SPD und Linken. Gernot Erler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, warf der Regierung eine Verschleierungstaktik vor. "Noch sind nicht alle politischen und diplomatischen Instrumente ausgeschöpft", sagte Erler. Ein Militärschlag könnte zu einer unkalkulierbaren Eskalation des Konflikts in der gesamten Region beitragen. Dies gelte es zu vermeiden.

Gregor Gysi, Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag, forderte ein klares Bekenntnis gegen ein militärisches Eingreifen des Westens in Syrien. "Ein militärischer Angriff wäre eine Katastrophe - so wie in Afghanistan und dem Irak", sagte Gysi der "tageszeitung" (Dienstagsausgabe). Die Verantwortlichen für den Giftgaseinsatz müssten sich in Den Haag vor dem Internationalen Gerichtshof verantworten, verlangte Gysi.

Der chaldäisch-katholische Bischof von Aleppo, Antoine Audo, warnt eindringlich vor einem militärischen Eingreifen der internationalen Gemeinschaft in Syrien. Dies würde einen «Weltkrieg» heraufbeschwören, sagte Audo am Montag dem Sender Radio Vatikan. Der Konflikt lasse sich nicht einfach durch einen Militärschlag beilegen. Stattdessen solle die Staatengemeinschaft ihre Anstrengungen für einen Dialog zwischen den Konfliktkparteien verstärken. Zugleich berichtete der Bischof, der Friedensappell von Papst Franziskus sei in großen Teilen der Bevölkerung sehr begrüßt worden.

Experten gehen inzwischen davon aus, dass die USA einen Militärschlag gegen Syrien auch ohne UN-Mandat rechtfertigen könnten. "Eines der wichtigsten Argumente für eine Intervention wäre sicher die humanitäre Lage in Syrien", sagte Markus Kaim, Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, dem epd. Als Blaupause könne der Luftkrieg im Kosovo 1999 dienen.

"Wir haben Informationen erhalten, dass es eine internationale Reaktion (auf den Giftgas-Einsatz) geben wird, höchstwahrscheinlich in Form eines Militärschlags, und zwar schon bald", sagt auch der syrische Oppositionelle Luai al-Mekdad. "Einige Staaten wie die USA, Frankreich und Großbritannien haben sogar schon entschieden", will er erfahren haben. Sollte sich für einen solchen Einsatz tatsächlich eine "Koalition der Willigen" zusammenfinden, so wie 2003 vor der Invasion im Irak, dann wäre das der entscheidende Wendepunkt in dem Bürgerkrieg, der schon weit über 100.000 Tote gefordert hat.

Keine Bodentruppen

Anders als damals im Irak, als Propagandalügen über angebliche Massenvernichtungswaffen als Kriegsgrund herhalten mussten, plant derzeit aber niemand, Bodentruppen zu schicken. Die Szenarien, die bislang diskutiert werden, sehen eine Kriegsführung aus der Distanz vor, mit minimalem Risiko für die angreifenden Armeen. Das bedeutet wahrscheinlich den Einsatz von Marschflugkörpern, die Zerstörung der syrischen "Scud"-Raketen und Chemiewaffen-Arsenale, die Durchsetzung einer Flugverbotszone, eventuell flankiert von einer weiteren Aufrüstung bestimmter Rebellen-Brigaden.

Zu möglichen Angriffen auf Lager radikaler islamistischer Brigaden hat sich bislang niemand geäußert. Doch die Frage drängt sich auf, wie die westlichen Strategen sonst verhindern wollen, dass die Kampfverbände der Terroristen von der Schwächung der Regimetruppen durch eine Militärintervention profitieren.

"Es gibt keine Koordination mit der Allianz, was die Auswahl bestimmter militärischer Ziele angeht", sagt Chalid Chodschja, ein führendes Mitglied der oppositionellen Nationalen Syrischen Allianz. Er vermutet, dass sich westliche Armeen bei einem möglichen Militärschlag gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad darauf beschränken würden, "den extremistischen Gruppen zu drohen".

Erfolg ungewiss

Die Diplomaten und Militärs, die in diesen Tagen Strategien entwickeln, wie man den Beschuss von Wohnvierteln mit Artillerie und Raketen stoppen kann, ohne ein gefährliches Machtvakuum zu hinterlassen wie einst im Irak, haben keine leichte Aufgabe. Nachdem mehrere Anläufe, eine politische Lösung zu erreichen, ins Leere gelaufen sind, ist es unendlich schwer, eine Intervention zu planen, die am Ende nicht verbrannte Erde hinterlässt.

Einige Beobachter glauben, dass die Einrichtung einer Flugverbotszone vor eineinhalb Jahren noch das Mittel der Wahl gewesen wäre, um das Blutvergießen zu beenden. Ob dies heute, wo sich Dutzende verschiedene Milizen und Rebellenbrigaden gebildet haben, noch gelingen könnte, sei dagegen fraglich. Diese Zweifel westlicher Politiker kennt auch Präsident Baschar al-Assad. Während in London und Washington an möglichen Szenarien gearbeitet wird, sagt er in einem Interview mit einer russischen Zeitung: "Haben sie nicht verstanden, dass alle diese Kriege nicht dazu geführt haben, dass sie von den Menschen in dieser Region geschätzt werden oder dass diese an ihre politischen Grundsätze glauben?"

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind bereits mehr als zwei Millionen Syrer auf der Flucht. Ein Sprecher des Deutschen Roten Kreuzes sagte dem epd, dass jede militärische Eskalation des Konflikts dazu führen würde, dass die Zahl der Flüchtlinge sowohl innerhalb Syriens als auch in den Nachbarländern weiter steige.


Quelle:
dpa , epd , KNA