Alleinerziehende Hartz IV-Empfänger und die schwierige Jobsuche

“Tagsüber halte ich die Fassade“

40 Prozent aller Alleinerziehenden leben von Hartz IV. Ein Leben voller Entbehrungen und Sorgen. Susanne Le Petit und Miriam Dietz sind nur zwei Frauen von Tausenden in Deutschland. Ein Besuch.

Autor/in:
Bettina Nöth
Susanne Le Petit (KNA)
Susanne Le Petit / ( KNA )

Schwarz. So trinkt Susanne Le Petit ihren Kaffee. Schwarz sind Jeans, Pullover und Turnschuhe der 44-Jährigen. Schwarz war das vergangene Jahr, als ihr Mann starb. Und schwarz sieht die vierfache Mutter für ihre berufliche Zukunft. 20 Jahre ist die Berlinerin nun von Sozialleistungen abhängig. Und inzwischen lebt auch ihre 20-jährige Tochter von Hartz IV. Diese finden oft wegen ihrer Kinder keinen Job - so die Erfahrung von zwei Berlinerinnen ganz unterschiedlicher Herkunft.

“Zu Ostzeiten hätte ich meine Arbeit noch“, sagt Susanne Le Petit. Die zierliche Frau mit schulterlangen braunroten Haaren zieht an der Zigarette. "Aber wenn die in der Bewerbung lesen, die hat vier Kinder, will einen keiner mehr haben.“ Nach der polytechnischen Oberschule arbeitete Le Petit als Verkäuferin in einer „Konsum“-Filiale. Als diese im Zug der Wende aufgekauft wurde, stand die damals 23-Jährige wie viele Ostdeutsche ohne Job da. Seitdem hat sie keine feste Arbeitsstelle mehr gefunden.

Mit ihren vier Kindern lebt die gelernte Verkäuferin in einer Vier-Zimmer-Wohnung im Prenzlauer Berg. Ihre 5- und 11-jährigen Töchter und der 8-jährige Sohn teilen sich ein Zimmer, in einem weiteren Zimmer wohnt die älteste Tochter, die bereits zwei eigene Kinder hat und auch Hartz IV empfängt. "Das Geld reicht hinten und vorne nicht“, sagt Le Petit. Rund 1.820 Euro stehen der Mutter für sich und ihre drei jüngsten Kinder monatlich zu: Rund 930 Euro Arbeitslosengeld II, 305 Euro Witwen- und Halbwaisenrente und 585 Euro Kindergeld. Nach Abzug von Miete, Strom und die Kosten für Kita und Schule bleiben rund 970 Euro zum Leben. Die Tochter erhält etwa 1.245 Euro für sich und ihre Zwillinge.

"Schon wieder Stulle“, nörgeln Le Petits Kinder, wenn es wie so häufig nur Brot zum Abendessen gibt. Nur wenn beim Discounter die Fruchtzwerge heruntergesetzt sind, gibt es mal einen Joghurt. Die Familie ist noch nie in den Urlaub gefahren. Auch Taschengeld ist nicht drin. "Du kannst alles machen, was kein Geld kostet“, sagt Le Petit ihrem Sohn, der gern Fußballspielen würde. Die monatlichen zehn Euro aus dem Bildungspaket reichen bei weitem nicht, um die Mitgliedschaft im Verein, Fußballschuhe und Trainingsklamotten zu zahlen, sagt sie.

Leuchtende Augen

Pullover, Jacken und Hosen stapeln sich in der Kleiderkammer der Caritas in der Dänenstraße bis an die Decke. Le Petit überprüft die Größe einer Kinderjacke. Zwei Hosen, zwei Pullover, drei T-Shirts findet sie für ihre drei Kinder. Und ein gebrauchtes Rad für die jüngste Tochter. "Da werden ihre Augen leuchten“, sagt die Mutter.

Zur Caritas kommt Le Petit auch, wenn sie Probleme beim Ausfüllen von Papieren hat. Und manchmal einfach nur, um zu Reden.Le Petit ist allein. Im vergangenen Jahr starb ihr Mann überraschend an Wasser in der Lunge. Von ihrer Familie kommt keine Unterstützung.

Es gibt auch keine Nachbarn oder Freunde, die mal auf die Kinder aufpassen könnten. Le Petit ist allein, wenn die Kinder krank sind, Hilfe bei den Hausaufgaben brauchen, nicht einschlafen können; allein stellt sie bei den Ämtern Antrag um Antrag, bringt die geforderten Bescheinigungen. Und wenn die Kinder abends im Bett sind, ist sie allein mit ihren Sorgen. Die ständig wechselnden Sachbearbeiter im Jobcenter verstehen nicht, warum Le Petit nach dem Tod ihres Mannes

Herz- und Kreislaufprobleme hat. "Tagsüber halte ich für die Kinder die Fassade“, sagt Le Petit. Doch oft frage sie sich, "ob das alles so fair ist, wie es abläuft“. "Fair?“ - Miriam Dietz lacht bitter. "Demütigend“, "menschenverachtend“ sei der Umgang der Sachbearbeiter im Jobcenter mit Hartz IV-Empfängern, sagt die 48-Jährige. Seit sechs Jahren ist die Kunsthistorikerin immer wieder auf Unterstützung angewiesen.

Viele Projektstellen hat sie seitdem an Land gezogen. Doch die waren immer zeitlich begrenzt. Beim Jobcenter wüssten sie nicht, welche Hilfe Akademiker benötigen, klagt Dietz. Weil ihr Sachbearbeiter sich nicht traute, eine Einzelfallentscheidung zu treffen, wurde eine Stelle nicht verlängert, die 2013 in eine Festanstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt übergegangen wäre.

Abitur, Studium in Bamberg und Berlin - für die alleinerziehende Mutter sahen die Chancen auf einen Arbeitsplatz zunächst gut aus.Seit zehn Jahren liegt die Arbeitslosenquote für Akademiker bei rund drei Prozent. Im März waren unter den knapp über 3 Millionen Arbeitslosen in Deutschland rund 185.000 Akademiker.

Doch Dietz, die Kunstgeschichte, Psychologie und Publizistik studierte, fand wie viele Geisteswissenschaftler zunächst keine Stelle, die ihrer Qualifikation entsprach. Stattdessen arbeitete sie im Inneneinrichtungsbereich. Weil sie im Betrieb nicht aufsteigen konnte, machte sie sich selbstständig. Aber der Vater ihrer Kinder unterstützte sie nicht bei der Kinderbetreuung. Dietz rutschte in Hartz IV und trennte sich von ihm. Seit Jahren zahlt er zu wenig Unterhalt.

"Nicht mit Hartz IV zu wuppen“

Wie Le Petit versucht auch Dietz, die Fassade zu wahren. Ihre Kinder besuchen eine Schule in freier Trägerschaft, der 11-jährige Sohn lernt Klavier, fechtet und spielt Theater. Die 6-jährige Tochter hat ein typisches Mädchenzimmer mit Barbie-Haus, Spiel-Pferden und Prinzessinnenkrone. Doch das ist alles "nicht mit Hartz IV zu wuppen“, sagt Dietz. Inzwischen sind ihre Ersparnisse aufgebraucht, auf ihr lasten Schulden von rund 7.000 Euro. Sie hat sich ihren Rentensparplan auszahlen lassen und ihren Dispokredit ausgereizt.

Auf dem edlen Küchentisch steht eine Vase mit roten Gladiolen - farblich perfekt abgestimmt mit einer stylisch geschwungenen Tischlampe. Bislang konnte Dietz dank ihrer Rücklagen einen gewissen Lebensstandard halten. Zu einer blauen Stoffhose trägt sie eine ausgefallen geschnittene Bluse und elegante Sandalen. Das halblange Haar trägt sie offen. Sie ist sorgfältig geschminkt.

Doch das selbstbewusste Auftreten täuscht. "Die ständig neue Jobsuche hat ganz schön an meinem Selbstbewusstsein genagt“, sagt sie. "Ich hab mich als Frau in den Jahren verloren.“ Wie Le Petit muss auch Dietz Tag für Tag den Kindern eine starke Mutter sein. Gleichzeitig versucht sie, für Arbeitgeber attraktiv zu bleiben. Aus eigener Tasche bezahlte die 48-Jährige eine Fortbildung für Führungsaufgaben im Kulturbereich. Doch ihr Studium wird ihr immer wieder zum Verhängnis: Für viele Arbeiten ist sie überqualifiziert. Bei einer Sekretärinnen-Stelle habe sie keine Chance, sagt Dietz.

Dietz und Le Petit - so unterschiedlich die Lebenswelten der beiden Frauen sind, aus Hartz IV kommen sie aus dem gleichen Grund schwer heraus: Beruf und Familie können sie nur vereinbaren, wenn die Kinderbetreuung funktioniert und der Arbeitgeber Verständnis für ihre Situation hat. "In jedem Vorstellungsgespräch wird gefragt, wie ich das als Alleinerziehende mit den Kindern organisiere“, sagt Dietz.

Auch für Le Petit steht fest: "Nicht Hartz IV ist schuld, sondern die Gesellschaft. Denn wenn die Einstellung zu Familien mit Kindern anders wäre, würde ich auch Arbeit finden.“


Quelle:
KNA