Bundestagsvize Thierse über den Appell zur Kircheneinheit

Ökumenische Ungeduld

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse wirbt für ein Ende der Trennung von Protestanten und Katholiken. Er gehört zum Kreis der Unterzeichnern des Appells "Ökumene jetzt". Der ökumenische Zustand werde momentan mehr verwaltet, institutionelle Unterschiede betont, begründet Thierse im domradio.de-Interview den Aufruf. Treibende Energien zur Ökumene fehlten dagegen.

 (DR)

domradio.de: Als ein "Dokument unserer Ungeduld" haben Sie den jetzt veröffentlichten Text bezeichnet. Welche Ungeduld hat Sie angetrieben, dieses Dokument zu unterzeichnen?

Thierse: Wir sind ungeduldig mit dem Zustand der Ökumene. Wir haben den Eindruck, dass noch vorhandene theologische Differenzen, institutionelle Unterschiede allzu sehr betont werden und der ökumenische Zustand mehr verwaltet wird, als dass es noch treibende Energien gibt, tatsächlich in Richtung Einheit der Kirche zu wandern.



domradio.de: Warum kommt dieser Appell gerade jetzt?

Thierse: Wir sind ja in Zeiten, wo wir einerseits uns erinnern, dass vor 50 Jahren das II. Vatikanische Konzil begonnen hat und wir sind in der Dekade zur Vorbereitung des 500-jährigen Jubiläums der Reformation. Wann, wenn nicht jetzt angesichts der beiden Jubiläen gäbe es Anlass, neue Schritte zu wagen? Sonst bleiben diese Jubiläen unproduktiv, rückwärtsgewandt, folgenlos. Sie vertiefen dann sogar eher die Spaltung, als dass sie zur Überwindung beitragen.



domradio.de: Zu den Unterzeichnern gehören z.B. Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, Fernsehmoderator Günter Jauch und der Präsident des Olympischen Sportbundes Thomas Bach. Wie kommen diese Personen aus ganz unterschiedlichen Bereichen eigentlich zusammen, um zu diesem Thema einen öffentlichen Aufruf zu starten?

Thierse: Wir haben auf Anregung von Bundestagspräsident Norbert Lammert einen solchen Text entworfen und haben dann ganz unterschiedliche Personen eingeladen, von denen wir wissen, dass sie überzeugte Christen sind und aktive Glieder ihrer Kirche. Wir wollten ausdrücklich nicht Amtsträger haben, nicht weil wir da in Feindschaft sind, sondern dies ist ein Aufruf der Laien, derer, die sich als bewusste und aktive Glieder ihrer Kirche verstehen, die aber doch unzufrieden sind mit dem, was gewissermaßen unter Theologen bisher erreicht worden ist. Obwohl es da wirklich Fortschritte gibt oder was in den ökumenischen Gesprächen der Amtskirchen erreicht wird. Deswegen sagen wir, es muss neue Bewegung von unten kommen, sonst verwalten wir die Differenzen und versuchen sie nicht zu überwinden.



domradio.de: Aber eine Einheit kann es nicht geben, ohne die Kirchenleitung von oben.

Thierse: Das ist gewiss, aber die Kirchen bestehen doch nicht nur aus den Bischöfen. Als Katholik sage ich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil: Die Kirche ist das wandernde Volk Gottes, in dem es unterschiedliche Begabungen, Aufgaben, Ämter, Rollen gibt, die alle ihr Gewicht haben. Und im Evangelium steht doch der schöne Satz: Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Also auch zum Begriff von Katholizität gehört die Vorstellung von Reichtum, von Vielfalt, von Weite. Es muss nicht alles uniform sein und man darf nicht mit dem Hinweis auf die Weltkirche, anderswo gebe es keine Protestanten, jeden ökumenischen Fortschritt in Deutschland und in Europa zu verhindern versuchen.



domradio.de: Das klingt trotzdem nach einem deutschen Sonderweg.

Thierse: Nein, schauen Sie in die USA. Dort gibt es auch unerhörte ökumenische Konflikte, dort gibt es genauso viele konfessionsverschiedene Ehen. Der katholische Kontinent Südamerika wird immer protestantischer, also da ist so viel Bewegung. Das ist nicht nur ein deutsches Sonderproblem, allerdings: Deutschland ist das Land mit der reichsten Erfahrung in Konfessionskonflikten. Hier hat die Reformation stattgefunden, hier gab es Konfessionskriege und hier haben wir mühselig gelernt, mit den Konfessionsdifferenzen einigermaßen friedlich umzugehen. Aber reicht das, dass wir friedlich umgehen? Dass jetzt eine Ökumene der Profile propagiert wird, das heißt auch der Profilierung gegeneinander? Nein, wir glauben, dass das nicht mehr ausreicht, sondern dass wir neue Schritte wagen müssen.



domradio.de: Ein Zitat aus dem Appell: "Deshalb ist es geboten, diese geistliche Einheit auch sichtbar Gestalt gewinnen zu lassen." - Wie kann diese sichtbare Gestalt denn Ihrer Meinung nach aussehen?

Thierse: Wir müssen ja nicht sofort mit den institutionellen Grundfragen beginnen, aber mit Konfessionsverbindenden, also die Ehen. Da, wo Menschen sich zusammen tun und christlich leben wollen und die beiden Kirchen, vor allem die katholische Kirche bürdet solchen Ehen, solchen Familien eine Spaltung auf, die nicht mehr lebbar ist. Wieso schließen wir einander von der Eucharistie vom Abendmahl aus, wie ist die Rolle von Frauen in den Kirchen? Da gibt es so viele Dinge, wo es Veränderungsbedarf gibt und wo man in der Art und Weise, wie man das ändert auch sichtbar werden kann, dass wir bei historisch gewachsener Vielfalt, bei großem geistlichen Reichtum doch eine gemeinsame Kirche sind.



Das Interview führte Matthias Friebe (domradio.de)



Hintergrund

Eine Initiative prominenter Katholiken und Protestanten aus Politik und Gesellschaft hat einen Aufruf "zur Überwindung der Kirchentrennung" veröffentlicht. "Als Christen im Land der Reformation stehen wir in der besonderen Verantwortung, Zeichen zu setzen und dazu beizutragen, den gemeinsamen Glauben auch in einer gemeinsamen Kirche zu leben", heißt es in dem am Mittwoch in Berlin vorgestellten zweiseitigen Text. Die Unterzeichner, darunter Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse und Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, wollten "nicht Versöhnung bei Fortbestehen der Trennung, sondern gelebte Einheit im Bewusstsein historisch gewachsener Vielfalt".



Bei der Initiative handele es sich nicht um einen Verein oder eine Organisation, erläuterte Lammert. Es sei eine "Initiative deutscher Protestanten und Katholiken, die sich auch und gerade an die jeweiligen Kirchenoberen richtet", so der CDU-Politiker. Alle Christen hätten die Möglichkeit, sich persönlich durch Unterschrift diesem Aufruf anzuschließen oder sich an einem eigens eingerichteten Diskussionsforum im Internet zu beteiligen. Die Unterzeichner verbinde die zentrale Überzeugung, dass die historisch gewachsenen konfessionellen Unterschiede eine weitere Aufrechterhaltung der Trennung der Christenheit nicht mehr rechtfertigten.



Der SPD-Politiker Thierse bezeichnete den Aufruf als "Ausdruck unserer Ungeduld". Man habe sich ausdrücklich gegen die Aufnahme konkreter Forderungen in den Appell entschieden. Vielmehr solle damit eine breite Debatte eröffnet werden, in deren Verlauf Konkreteres entwickelt werden solle. Mehrere Unterstützer verwiesen auf die Probleme in konfessionsverschiedenen Ehen etwa beim Zugang zur Eucharistie. Von Weizsäcker betonte, Ökumene sei nicht nur eine Sache von "Amtspersonen, die nicht recht vom Fleck kommen". Der Freiburger Sozialphilosoph Hans Joas räumte ein, man könne in der Ökumene "nicht beliebige Sprünge machen". Es gehe um eine "Einheit im Bewusstsein der Vielheit" und nicht darum, "plötzlich Gemeinsamkeiten zu erzwingen".



Zu den 23 Erstunterzeichnern der Erklärung gehören auch die Bundesminister Thomas de Maiziere und Annette Schavan (beide CDU), der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier, die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt, der ehemalige Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Hans Maier, der Präsident und der Generalsekretär des Deutschen Olympischen Sportbunds, Thomas Bach und Michael Vesper, der Schriftsteller Arnold Stadler, der Bildhauer Günther Uecker und der Fernsehjournalist Günther Jauch.