Vor 250 Jahren wurde der "zweite" Hamburger "Michel" geweiht

"Wohnzimmer des Lieben Gottes"

Vier Orgeln, zehn Portale, 2.500 Sitzplätze und jährlich 1,3 Millionen Besucher: Mit ihrer ungewöhnlichen historischen Prägung hält die Hamburger Hauptkirche Sankt Michaelis manchen Rekord. Vor 250 Jahren wurde der "Michel" eingeweiht - allerdings schon der zweite Bau der Kirche.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
 (DR)

Nach dem Brand von 1750 war in zwölfjähriger Bauzeit das barocke Kirchenschiff entstanden. Der prächtige Bau, der Seeleute beim Ankern im Hafen grüßt und Touristen die Kameras zücken lässt, erhielt seine heutige Form. Damit hat Hamburgs Wahrzeichen Nummer eins nach seinem 350. Weihejubiläum im März 2011 jetzt sogar dreifachen Grund zum Feiern: Mit einer Festwoche erinnert die Gemeinde ab Sonntag daran, dass ebenfalls jeweils am 19. Oktober der Michel in den Jahren 1912 und 1952 neu geweiht wurde.



Seine Anfänge hat "das Wohnzimmer des Lieben Gottes", wie Hauptpastor Alexander Röder seine Kirche nennt, um das Jahr 1600: Während der Pestepidemie wurde vor der Stadtmauer ein Friedhof mit kleiner Kirche errichtet. Und als während des 30-jährigen Krieges (1618-1648) immer mehr Menschen in die "Neustadt" zogen, baute man etwa 200 Meter westlich den "Großen Michel". Doch am 10. März 1750 brannte er nach einem Blitzschlag bis auf die Grundmauern nieder. Nun wich man wieder auf den "Kleinen Michel" aus, baute aber den "Großen Michel" bis 1762 wieder auf. Unterdessen vollzog sich am "Kleinen Michel" ein Wandel: Während der französischen Besatzungszeit diente die Kirche ab 1807 als katholischer Gottesdienstort für die fremden Soldaten. Offiziell wurde die Kirche am 13. März 1811 katholisch.



Der benachbarte "Große Michel" wurde 1906 nach Lötarbeiten am Turm erneut ein Raub der Flammen. Nur sechs Jahre später die Neueröffnung - und im Zweiten Weltkrieg wiederum massive Bombenschäden, die bis 1952 behoben waren. Zwischen 1983 und 2009 wurde Norddeutschlands größte Barockkirche nochmals grundlegend saniert.



Turmuhr mit größtem Durchmesser

Wer das 52 Meter lange, in Weiß und Gold gehaltene Gotteshaus betritt, wähnt sich mitunter in einer katholischen Kirche. "Die lutherische Kirche", sagt Röder, "ist ja auch katholisch - im Sinne von weltumspannend, aber nicht römisch-katholisch." Der schlichtere "Michel"-Barock sei für nüchterne Norddeutsche erträglich: Der 20 Meter hohe Altar, das marmorne Taufbecken und die Kanzel. Diese stelle sich dem Betrachter geradezu in den Weg, da der Glaube über Wort und Verkündigung gehe, so Röder. Der Kirchenmusik fühlt sich der "Michel" besonders verpflichtet. So trägt eine der Orgeln den Namen des Hamburger Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847). Und in der Krypta ruht kein Geringerer als Bach-Sohn Carl Philipp Emmanuel (1714-1788).



Dass der "Michel" nicht nur evangelischen Nutzern offen steht, nennt Röder "ein Zeichen der großen Gastfreundschaft in Hamburgs funktionierender Ökumene". Ob der Investiturtag des päpstlichen Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem, die live übertragenen Trauerfeiern für Heidi Kabel oder Loki Schmidt, der Jubiläumsempfang der Freimaurer oder eine Wirtschaftskonferenz: Berührungsängste kennt man hier nur in sehr begrenztem Maße. "Wir holen die Welt auch in die Kirche hinein", meint Röder.



Den Blick über die Weltstadt Hamburg bietet der 132 Meter hohe Turm des "Michel". Die 453 Stufen zur Plattform in 82 Metern Höhe führen auch vorbei an der Turmuhr, mit acht Metern Durchmesser die größte Deutschlands. Der Aufstieg wird mit atemberaubender Aussicht belohnt. Fast zum Greifen nah auch die bekannteste Baustelle der Hansestadt: die Elbphilharmonie. Hamburgs kommendes Wahrzeichen? Röder schüttelt den Kopf. "Wir freuen uns, wenn die Elbphilharmonie mal fertig wird, haben aber keine Angst vor Konkurrenz. Schließlich ist der Michel in der Geschichte gewachsen und nicht aus dem Boden gestampft."