Köhler: Kultur mit langen Wurzeln

1.000 Jahre Michaeliskirche

Die Feierlichkeiten zum 1.000-jährigen Bestehen der Hildesheimer evangelischen Sankt Michaeliskirche sind am Freitag im Beisein von Bundespräsident Horst Köhler offiziell eröffnet worden. Das Festjahr zur Grundsteinlegung der von Bischof Bernward (um 980-um 1022) begründeten Kirche steht unter dem Motto "Gottes Engel weichen nie".

 (DR)

Bundespräsident Horst Köhler zeigte sich beeindruckt von der symbolischen Aktion: Mehr als tausend Gymnasiasten bildeten am Freitag in Hildesheim eine 635 Meter lange Schlange vom katholischen Dom zur evangelischen Michaeliskirche. In den Händen hielten sie eine Stoffbahn mit Bildern und Texten aus tausend Jahren Geschichte. «Geschichte kann man ausrollen», sagte Köhler begeistert.

Gemeinsam mit der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, eröffnete er das Jubiläumsjahr zum 1.000-jährigen Bestehen der zum Weltkulturerbe gehörenden Michaeliskirche - und signierte erst einmal das Ende des Bild- und Spruchbandes.

Die Schüler hätten «buchstäblich Geschichte zum Anfassen» geschaffen, sagte der Bundespräsident bei einem festlichen Gottesdienst in der Michaeliskirche. «Diese jungen Menschen sorgen dafür, dass dieses Band auch in die Zukunft geknüpft wird.» Für Köhler war das Stoffband auch ein sichtbares Zeichen der Ökumene: «Nur gemeinsam können die Christen ihren Glauben leben.» Das werde an der Geschichte der Michaeliskirche besonders deutlich.

Der kunstsinnige und gebildete Bischof Bernward von Hildesheim (um 960-1022) ließ 1010 den Grundstein für die Kirche legen, die als herausragendes Denkmal spätromanischer Baukunst gilt. Sie wurde auf einem Hügel nach strengen geometrischen Prinzipien und einer ausgeklügelten religiösen Zahlensymbolik aus drei mal drei Quadraten errichtet. Von außen wirkt sie mit ihrem wuchtigen Mittelbau, ihren quadratischen Türmen und ihren vier schlanken Ecktürmen wie eine Gottesburg. Innen zieht eine kostbare bemalte Holzdecke aus der Zeit um 1200 die Blicke auf sich.

Michaelis sei von einer «lichten, klassischen, geheimnisvollen, geradezu mathematischen Schönheit», sagte die hannoversche Landesbischöfin Käßmann bei der Jubiläumsfeier. Die Erbauer hätten mit ihr versucht, «ein Stück des Himmels auf die Erde zu holen». Die Kirche habe der Zerstörung getrotzt, immer wieder hätten Menschen sie neu aufgebaut. Sie stehe damit für die Hoffnung, dass Gott die Menschen nicht verlasse.

Bischof Bernward wurde 1022 in der Krypta beigesetzt. Hier liegt er bis heute - und verbindet die beiden großen Konfessionen. Die Kirche an sich ist evangelisch, doch ihre Krypta mit dem steinernen Sarkophag gehört der katholischen Kirche. 2006 ließen beide Konfessionen eine Mauer durchbrechen, die beide Teile des Gebäudes Jahrhunderte lang getrennt hatte.

Zum Jubiläum kann die Michaeliskirche auch die monumentale Christussäule wieder präsentieren, die zu ihrer ursprünglichen Ausstattung gehört hatte. Das Bronzekunstwerk gelangte im 19.
Jahrhundert in den benachbarten katholischen Mariendom, weil kunstsinnige Bürger sie nach der französischen Besatzung unter Napoleon vor dem Einschmelzen bewahrt hatten. Rund 200 Jahre später stellt sie der Dom jetzt als Leihgabe zur Verfügung.

1809 war die Michaeliskirche unter König Jérome Bonaparte geschlossen und als Strohlager, Kegelbahn und Sporthalle zweckentfremdet worden. Zeitweise erwog man sogar den Abbruch des verfallenden Baudenkmals, bis es 1844 der evangelischen Kirche zurückgegeben und renoviert wurde.

Vor knapp 65 Jahren schien der Stolz der Kirche endgültig dahin: Verkohlte Balken lagen zwischen dampfenden Backsteinen, Rauch stieg auf, die Türme waren zusammengestürzt. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, am 22. März 1945, hatten britische und kanadische Bomber die Stadt vernichtet und die Kirche zerstört. Doch noch im gleichen Jahr begann der Wiederaufbau. Heute gehört St. Michaelis gemeinsam mit dem Dom zum Weltkulturerbe der Menschheit wie das Kolosseum in Rom oder die Chinesische Mauer.

Mit ihrem Projekt «1.000 Jahre ausgerollt» haben die Hildesheimer Schüler inzwischen den Preis «Geistesblitze - Wie Ideen unseren Alltag prägen» gewonnen. Für die Stoffbahnen haben sie nicht nur Bilder aus Bibel und Geschichte gemalt, sondern sogar ganze lateinische Texte wiedergegeben. «Wir haben im Latein-Unterricht mittelalterliche Texte über den Erzengel Michael und das Leben von Bischof Bernward übersetzt», erzählt Catrin Eller (15) aus einer zehnten Klasse. Unter dem Motto «Gottes Engel weichen nie» soll der Kirchengeburtstag das ganze Jahr über gefeiert werden.