Der päpstliche Kammerdiener muss im "Vatileaks"-Prozess aussagen

"Vom Heiligen Geist durchdrungen?"

In der zweiten Sitzung des Prozesses gegen den ehemaligen päpstlichen Kammerdiener Paolo Gabriele vernimmt das vatikanische Gericht erstmals den Angeklagten selbst. Die spannende Frage lautet: Hatte der Kammerdiener Komplizen; ist er womöglich Mitglied einer Verschwörung?

Autor/in:
Thomas Jansen
 (DR)

Gabriele selbst machte in diesem Punkt bislang widersprüchliche Aussagen. In der Vernehmung durch einen vatikanischen Untersuchungsrichter beschrieb er sich als Einzeltäter. Er habe die Kirche durch einen "Schock" wieder auf den rechten Weg bringen wollen und sich vom "Heiligen Geist durchdrungen" gefühlt. Im Februar hatte er in einem anonym geführten TV-Interview hingegen von rund 20 Gesinnungsgenossen gesprochen.



Auch ein psychologisches Gutachten nährt zumindest Zweifel an der These vom Einzeltäter. Sein Bedürfnis nach Anerkennung könne ihn für Manipulationen durch sein Umfeld anfällig machen, heißt es darin. Er wird als simples Gemüt mit einer gestörten Persönlichkeit und einem Hang zur Paranoia geschildert. Und dann gibt es da noch die mysteriösen Personen "W", "X", "Y" und "E" sowie Gabrieles "geistlichen Begleiter B.". Hinter diesen Buchstaben verbergen sich im Bericht des Untersuchungsrichters vier Personen, die offenbar von Gabrieles Diebstahl wussten.



Für die Vermutung, dass hinter der "Vatileaks"-Affäre möglicherweise doch nicht nur ein Butler mit einfachem Gemüt steht, gibt es viele Indizien und ein starkes Argument: die Kardinalskommission, die Benedikt XVI. im April mit Ermittlungen in der Affäre betraute. Warum, so fragen sich Beobachter, hätte der Papst eine solche Untersuchung einleiten sollen, wenn nicht im Vatikan selbst der Verdacht eines Komplotts bestünde? Die drei Kardinäle haben dem Papst Ende Juli ihren Untersuchungsbericht überreicht. Ihre Ergebnisse sind nur für ihn persönlich bestimmt. Auch für den Prozess darf der Bericht deshalb nicht herangezogen werden. Einen entsprechenden Antrag von Gabrieles Verteidigerin lehnten die Richter ab.



Sagt Gänswein aus?

Die acht Zeugen, die im Prozess aussagen sollen, unter ihnen der päpstliche Privatsekretär Georg Gänswein, versprechen kaum neue Aufschlüsse über etwaige Hintermänner. Sechs von ihnen sind Angehörige der vatikanischen Gendarmerie. Hinzu kommt Cristina Cernetti, eine der vier Ordensschwestern, die den päpstlichen Haushalt führen.



Auffällig ist, dass außer Gänswein kein Kurienmitarbeiter unter den Zeugen ist. Dass Gänswein in dem öffentlichen Prozess etwas sagt, was er zuvor nicht schon im Rahmen der nichtöffentlichen Voruntersuchung zu Protokoll gegeben hat, erscheint unwahrscheinlich. Und ob er an diesem Dienstag als Zeuge aussagt, ist nicht bekannt.



Auch die Abtrennung des Verfahrens gegen den Informatiker Claudio Sciarpelletti vom Fall "Gabriele", die das Gericht am Samstag beschloss, könnte dafür sprechen, dass es der These von einem Komplott keine große Beachtung schenkt. Der Angestellte des vatikanischen Staatssekretariates ist wegen Beihilfe zum Diebstahl angeklagt.



Es könnte ein kurzer Prozess werden

Die Eröffnung des Prozesses am Samstag war weitgehend vom üblichen juristischen Vorgeplänkel bestimmt: Anträge, Klärung der Beweismittel, Organisatorisches. Gabrieles Verteidigerin etwa stellte einen Antrag auf Unzuständigkeit des Gerichts. Ihre Begründung: Das Verfahren berühre das "päpstliche Geheimnis" - eine Art Amtsgeheimnis - und müsse daher nach dem Kirchenrecht geführt werden. Das Gericht wies den Antrag ab. Die Richter ließen zudem erkennen, dass es dem auf den Namen des Papstes ausgestellten Scheck über 100.000 Euro sowie dem ebenfalls gefundenen Goldstück keine große Bedeutung beimisst.



Es könnte ein kurzer Prozess werden. Der Präsident des vatikanischen Tribunals, Giuseppe Dalla Torre, deutete nach Aussagen von Prozessbeobachtern einen zügigen Abschluss des Verfahrens an, möglicherweise noch in dieser Woche. Am Sonntag eröffnet Benedikt XVI. im Vatikan die Weltbischofssynode über die Neuevangelisierung. Offenbar soll Justitia ihre Arbeit erledigt haben, bevor die rund 300 Gäste anreisen.