Prof. Justenhoven plädiert gegen Militäreinsatz in Syrien

"Politische Anstrengungen verlängern"

Die Kämpfe zwischen Aufständischen und Regierungstruppen in Syrien erfassen immer mehr die Hauptstadt Damaskus. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bemüht sich in Peking um eine diplomatische Lösung des Konflikts und der Sondergesandte Kofi Annan reist nach Moskau. Prof. Heinz-Gerhard Justenhoven, Direktor am Institut für Theologie und Frieden in Hamburg, mit einer Einschätzung der aktuellen Situation.

 (DR)

domradio.de: Ban Ki Moon reist heute nach China. Kofi Annan reist nach Moskau. Was wäre wichtig, um Russland und China in die Friedenslösung mit einzubinden? --
Prof. Heinz-Gerhard Justenhoven: Ich denke, es ist offenkundig, dass der Einsatz von Waffen gegen die syrische Bevölkerung durch das Regime ein ungeheuerlicher Skandal ist. Etwa 100 Menschen sterben täglich, und zwar durch den Waffeneinsatz sowohl der Rebellen als auch der syrischen Armee, und es braucht dringend eine Einigkeit der relevanten Akteure auf der internationalen Ebene, um politischen Druck aufzubauen und vor allen Dingen das Regime zum Einlenken zu zwingen. Denn in dieser Weise kann es natürlich nicht weitergehen.



domradio.de: Viele meinen, Diplomatie reiche nicht mehr aus, und reden davon, dass ein Frieden ohne einen internationalen Einsatz nicht mehr möglich sei. Was halten Sie davon? --
Prof. Justenhoven: Die Interventionen der letzten 10 Jahre haben gezeigt, dass wir dadurch eher weniger in Richtung eines Friedens kommen, sondern dass durch den Einsatz von Gewalt noch mehr Menschen zu Schaden kommen. Insofern bedarf es und lohnt es wirklich den äußersten politischen Einsatz, um zu versuchen, das Schlimmste abzuwenden. Das heißt auf gut Deutsch: Ich bin strikt gegen eine Intervention zum derzeitigen Zeitpunkt, weil ich glaube, dass die Gewalt nur eskalieren würde.



domradio.de: Ist es denn der äußerste politische Einsatz, wenn Ban Ki Moon heute nach China reist und Kofi Annan nach Moskau?--
Prof. Justenhoven: Die entscheidende Frage ist: Was haben Ban Ki Moon und Kofi Annan in der Tasche? Was können sie Russland und China anbieten? Hier ist offenkundig, dass - zumindest im Fall Russlands -sich die Regierung dort in den letzten Monaten bewegt hat und verstanden hat, dass das Regime Assad in dieser Weise seine gewaltsame Politik gegenüber der eigenen Bevölkerung nicht weiter fortführen kann und dass es auch den russischen Interessen schadet, wenn Russland unbedingt und unkonditioniert hinter dem Regime steht. Auf der anderen Seite hat Russland natürlich große Sorgen, seinen Einfluss zu verlieren. Und hier müssen sich die Akteure aufeinander zu bewegen.



domradio.de: Was ist ihrer Meinung nach derzeit die alles entscheidende Frage in Syrien?--
Prof. Justenhoven: Die alles entscheidende Frage ist in meinen Augen, dass die dort beteiligten Akteure sowohl im Land als auch regional, sprich Iran, Saudi-Arabien, und auch Russland und China auf der einen Seite und USA und Europa auf der anderen Seite zu einem politischen Kompromiss kommen. Es ist ja wie immer in diesen Fällen so, dass nicht nur das Wohl der dortigen Bevölkerung auf dem Spiel steht, sondern auch eigene Interessen diesen Konflikt überlagern. Und diese Probleme gilt es, deutlich zu benennen und im Interesse der Bevölkerung - wenn man wirklich Frieden will und nicht den Krieg anheizen will - zu versuchen, einen Kompromiss zu erreichen. Das heißt: Wir müssen sehen, dass Iran und Saudi-Arabien in einem Gegensatz zueinander stehen, hier ringt der schiitische Iran als regionale Macht mit dem sunnitischen Saudi-Arabien um die Vormacht. Und Syrien liegt genau in der Zone dazwischen. Und auf der anderen Seite ringen natürlich die USA, die offenkundig auf eine Veränderung der Politik in Teheran abzielen und damit über Damaskus hinaus auf Teheran schauen, mit Russland, dass im syrischen Hafen Tartus seine letzte Militärbasis im Mittelmeer hat und sie zu verlieren droht, natürlich auch um Einfluss in der Region. Das bedeutet ganz konkret: Russland und die USA müssen einen Kompromiss finden, der beiden Seiten, wenn Sie so wollen, ein Stück vom Kuchen zu haben erlaubt. Nur dann ist es möglich, im Interesse der Bevölkerung zu einer anderen als einer gewaltsamen Lösung zu kommen.



domradio.de: Ein solcher Kompromiss wird aber seine Zeit brauchen. Bis dahin werden sicherlich weitere Hunderte von Menschen getötet werden. Wie aber kann man die Zivilbevölkerung schützen, die immer mehr unter Beschuss kommt? Sind humanitäre Schutzzonen eine Lösung, die immer häufiger im Gespräch sind? --
Prof. Justenhoven: Der Tod eines jeden Menschen ist furchtbar. Und jeder tote Mensch ist ein Toter zu viel. Insofern ist alles geboten, um zu versuchen, die Konflikthandlungen zu beenden. Auf der anderen Seite haben wir die Erfahrungen in Bosnien gemacht, dass Schutzzonen einen extrem hohen Einsatz an Soldaten erfordern. Sie können in einem Land wie Syrien mit 50.000 bis 100.000 Soldaten keine wirklich effektiven Schutzzonen einrichten, denn Sie müssen verhindern, dass von außen Kämpfer in die Zonen einsickern, dass Waffen hereinkommen, Sie müssen verhindern, dass aus diesen Zonen heraus, also aus dem Schutz der fremden Streitmacht heraus Gewalteinsätze geplant werden. All das können Sie nur mit einem ganz hohen Einsatz an Militär planen.



Und dann muss man sich darüber im Klaren sein, dass Sie als Interventionstruppe in einem Bürgerkrieg intervenieren, das heißt, die syrische Armee wird sofort alles, was sie an Waffen hat, einsetzen, was wiederum bedeutet, dass Sie die Luftwaffe des Landes ausschalten müssen. Damit sind Sie bei der Bombardierung von bestimmten syrischen Gebieten, Sie müssen die Luftabwehr ausschalten, Sie müssen sich gegen eine Armee von 400.000 Mann wehren. All dies wäre die Voraussetzung, um überhaupt durch eine Intervention die Zivilbevölkerung zu schützen. Und ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich glaube, dass dieser massive Einsatz, auch bei dem gegenwärtigen Konfliktstand, die Zivilbevölkerung weniger schützt als jeder Versuch, die politischen Anstrengungen zu verlängern, auch um den Preis, dass wir im Moment den Waffeneinsatz im Land selbst nicht stoppen können.



Das Interview führte Monika Weiß.