Seit einem Jahr Protest gegen das Assad-Regime

Folter, Vertreibung und leere Versprechungen

Vor genau einem Jahr hat in Syrien der Protest gegen Präsident Assad begonnen. 230.000 Menschen wurden seitdem laut Caritas International durch die andauernden Kämpfe aus ihrer Heimat vertrieben, mindestens 8.000 Menschen kamen ums Leben. Im domradio.de-Interview spricht Ruth Jüttner von Amnesty International über die Berichte der Flüchtlinge und leere Versprechungen seitens Assads.

 (DR)

domradio.de: Niemand darf ins Land, was wissen Sie über die Lage in Syrien?

Ruth Jüttner (Amnesty International): Das gilt auch für Amnesty International. Wir bekommen nicht die Erlaubnis, in Syrien zu recherchieren. Wir sind in Nachbarländer gereist, jüngst nach Jordanien, und haben Flüchtlinge aus Syrien interviewt. Unter den Leuten, mit denen wir gesprochen haben, waren Dutzende von Menschen, die in Haft waren. Sie haben uns sehr detailliert beschrieben, wie sie im Gefängnis gefoltert worden sind. Das sind die Informationsquellen, auf die wir uns vor allen Dingen in diesem neuen Bericht berufen.



domradio.de: Was berichten die Opfer über die Folter, die sie erleben?

Jüttner: Unsere Recherchen haben ergeben, dass es ein sehr ausgeprägtes Muster gibt, wenn Menschen festgenommen werden. Im Zusammenhang mit Massenfestnahmen, bei Hausdurchsuchungen werden diejenigen, die festgenommen werden, schon geschlagen und verprügelt, dann kommt es zu  einem Transfer in ein Haftzentrum. Auch dort, bei der Ankunft erwarten die Gefangenen Schläge. Sie werden gezwungen, sich auszuziehen, teilweise müssen sie bis zu 24 Stunden in der Kälte nackt stehen. Am Schlimmsten ist die Situation dann, wenn die Verhöre beginnen. Hier  wird ganz systematisch Folter angewendet. Die Zeugen, mit denen wir gesprochen haben, haben uns von 31 verschiedenen Methoden der Folter berichtet, dazu gehört, dass sie in einen Reifen gezwängt werden und dann mit Stöcken auf ihre Füße und Hände geschlagen werden, Elektroschockfolter, sexuelle Gewalt wie Vergewaltigungen. Wir gehen davon aus, dass das eben eine Form der Einschüchterung und Terrorisierung ist, die in Syrien systematischen Charakter hat.



domradio.de: Sie fordern ganz, ganz dringend unabhängige Beobachter ins Land, aber Syriens Staatschef Assad hat ja daran gar kein Interesse, wie wollen Sie das ändern?

Jüttner: Als Menschenrechtsorganisation versuchen wir vor allen Dingen glaubwürdige und gesicherte Informationen zu veröffentlichen, die Öffentlichkeit darüber zu informieren und darüber Druck auszuüben. Wir richten uns jetzt in erster Linie an Russland, das Land, was seit Monaten durch das Veto eine gemeinsame Resolution im UN-Sicherheitsrat blockiert. Hier werden wir nicht nachlassen, weil wir denken, der UN-Sicherheitsrat muss ganz eindeutig eine Resolution mit der Forderung nach einem Ende der Gewalt verabschieden. Der zweite Adressat ist der UN-Menschenrechtsrat. Der Menschenrechtsrat hat eine internationale unabhängige Kommission berufen, die auch nicht ins Land einreisen darf, die aber trotzdem genauso wie wir Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Diese Kommission hat zwei Berichte vorgelegt und wir fordern, dass diese Arbeit fortgesetzt wird, auch mit dem Ziel, dass die Menschenrechtsverletzungen und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in Syrien im Moment stattfinden, dokumentiert werden, damit sie zu einem späteren Zeitpunkt, zum Beispiel auch bei der Strafverfolgung, für die Verantwortlichen eingesetzt werden können.



domradio.de: Syriens Staatschef Assad hat jetzt Parlamentswahlen für den 7. Mai angekündigt. Was geben Sie denn auf solche Aktionen seitens Assad jetzt noch?

Jüttner: Die Reformen, die in den letzten Monaten von der syrischen Regierung angekündigt worden sind, das ist nur so eine Art zynisches, makabres Theater, eine Inszenierung. Es wurde zum Beispiel der Notstand abgeschafft, gleichzeitig aber ein Gesetz erlassen, was es ermöglicht, Gefangene 60 Tage lang in Haft zu halten, ohne Anklage zu erheben. In der Verfassung steht, Folter ist verboten. - Unser Bericht belegt, dass Folter systematisch angewendet wird. Was also zählt, ist tatsächlich das, was vor Ort passiert und nicht die leeren Versprechungen, die die Regierung und die Assad immer wieder verlautbaren lassen.



domradio.de: Sie sagen auch die deutsche Innenpolitik sei gefordert, inwiefern?

Jüttner: Das spielt bei den abgelehnten syrischen Flüchtlingen eine Rolle. Wir fordern zum einen, dass diejenigen, die in die Nachbarländer fliehen, also Jordanien, Libanon und die Türkei, dort aufgenommen werden, aber das eben überhaupt gar keine Flüchtlinge jetzt nach Syrien abgeschoben werden. Dafür müssen die deutschen Innenminister einen formellen Abschiebungsstopp erlassen und einen legalen Aufenthaltsstatus für die Syrer genehmigen. Im Moment haben sie nur eine Duldung und das bedeutet, dass ihnen jederzeit die Abschiebung drohen kann. Hier, denken wir, ist es absolut notwendig, dass eben auch von der deutschen Politik ein klares Signal gesendet wird, dass zum jetzigen Zeitpunkt die Leute Sicherheit haben und das geht eben nur über einen Abschiebungsstopp und einen legalen Aufenthalt.



(Das Interview führte Monika Weiß, domradio.de)