Die katholische Kirche kritisiert Umgang mit totem Gaddafi

"Der Tod verlangt Respekt"

Das blutige Bild des toten Mummar al-Gaddafis geht um die Welt - und mit ihm die Hoffnung auf einen Neuanfang für Libyen. Auf ihn hofft auch der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke. Doch im domradio.de-Interview sagt er auch: "Das Sterben eines Menschen ist nie ein Grund zur Freude."

Hamburgs Weihbischof Hans-Jochen Jaschke (KNA)
Hamburgs Weihbischof Hans-Jochen Jaschke / ( KNA )

domradio.de: Eine juristische Aufarbeitung der Taten Gaddafis ist nun wohl nicht mehr möglich - ein bedauerlicher Umstand?

Jaschke: Das ist natürlich eine komplizierte Sache: Wir sind alle erleichtert darüber, dass dieses Trauma endlich ein Ende finden wird, dass der Bürgerkrieg ein Ende finden wird und dass Libyen die Chance hat, einen neuen Anfang zu machen. Aber Schadenfreude ist nie eine gute Haltung. Und wenn man sieht, wie Recht und Gerechtigkeit dann mit Füßen getreten werden können, muss man schon den Finger in die Wunde legen. Ich verstehe, dass viele Menschen in Libyen jetzt ihre Freude zeigen. Aber wenn ich das zerstörte Gesicht von Gaddafi sehe, dann tut er mir auch wieder leid. Ein zerstörter Mensch muss immer auch Mitleid von uns verdienen.



domradio.de: Sie sagen es: das zerstörte Gesicht wird in den Medien präsentiert, heute sogar auf der Titelseite einer großen Tageszeitung. Darf man einen Menschen so zeigen - auch wenn es sich um einen Bösewicht wie Gaddafi handelt?

Jaschke: Ich meine, nein. Das Sterben eines Menschen ist nie ein Grund zur Freude. Der Tod verlangt Respekt von uns. Und wir müssen Gott überlassen, wie er den Menschen richtet. Aber: Gaddafi war ein skrupelloser Verbrecher, ein wahnwitziger Mann, er hat sich bereichert auf Kosten der Bevölkerung. Und sein ganzer Clan, der nun abgehauen ist, hat auch noch viel Geld in Sicherheit gebracht. Wir wollen das auch nicht verniedlichen. Aber das Recht muss, soweit es geht, dann eben noch nachgearbeitet werden. Es muss eine Aufklärung der ganzen Verhältnisse geben. Es muss eine Anklage im Nachhinein vielleicht noch formuliert werden. Das müssen Spezialisten dann entscheiden.



domradio.de: Grundsätzlich gefragt: Ist Rache angemessen, erst recht wenn jemand so schlimme Gräueltaten begangen hat wie Gaddafi?

Jaschke: Rache ist nie eine christliche Haltung und nie angebracht, weil Rache ein Gefühl ist, dass dann irgendwie freien Lauf nimmt und das außer Kraft setzen kann, was zu einer kultivierten, menschlichen Ordnung gehören muss. Aber noch einmal: Ich verstehe natürlich auch Menschen, wenn sie jetzt, nachdem dieses Trauma ein Ende findet, ihrer Freude Ausdruck geben.



domradio.de: Noch vor ein paar Jahren sind namhafte Staats- und Regierungschefs bei Gaddafi ein- und ausgegangen. Jetzt will niemand mehr was von ihm wissen, er wird als Toter durch die Straßen gezerrt. Ist das nicht irgendwie eine Doppelmoral der Politik?

Jaschke: Ja, das ist eine Doppelmoral der großen Politik - und im Kleinen üben wir sie ja alle auch irgendwie aus: Als man Gaddafi gebrauchen konnte, hat man sich mit ihm gut gestellt und seine Albernheiten und Verrücktheiten irgendwie noch mit Humor betrachtet. Jetzt wird er ohne jede Würde als Leichnam ins Licht der Öffentlichkeit gezogen. Das ist nicht in Ordnung! Deshalb brauch es jetzt unbedingt der Aufarbeitung des Ganzen. Es muss eine Anklage kommen. Auch seine Familie muss zur Rechenschaft gezogen werden. Die dürfen nicht davonkommen.



domradio.de: Was kann die Kirche tun, was der Vatikan, damit es jetzt in Libyen wieder aufwärts geht?

Jaschke: Der Vatikan hat in Libyen keine großen Einflussmöglichkeiten, weil wir eine kleine Minderheit dort sind. Aber Christen, gerade katholische Christen, wissen sich im Dialog der Religionen mit den anderen Religionen verbunden. Wir versuchen zu den Muslimen ein gutes Verhältnis zu gewinnen und haben schon viele gute Schritte in der Hinsicht geleistet. Wenn wir in dieser Hinsicht weitermachen, dann können wir auch Einfluss nehmen auf eine ordentliche, geordnete Entwicklung in Libyen - ohne Rache. Auch ein Moslem wird die Rache nicht für eine angemessene Haltung halten können.



Das Gespräch führte Christian Schlegel.