Kriegsverbrecherprozess nach Eröffnung abgebrochen

Per SMS Befehle für Mord und Folter?

Der Stuttgarter Kriegsverbrecherprozess gegen zwei Anführer einer bewaffneten Rebellengruppe im Kongo ist unmittelbar nach seiner Eröffnung unterbrochen worden. Laut Anklage sollen die beiden Männer von Deutschland aus Befehle für Massaker und Massenvergewaltigungen gegeben haben.

Autor/in:
Karoline von Graevenitz
 (DR)

Die Verteidigerin Ricarda Lang kündigte am Mittwoch einen Antrag gegen die Besetzung der Generalbundesanwaltschaft an.



Angeklagte gelten als Führer der berüchtigten Miliz "Forces Démocratique de Libération du Ruanda"

Dem Stuttgarter Oberlandesgericht steht eine geschichtsträchtige Aufgabe bevor: Fünf Richter unter Vorsitz von Jürgen Hettich haben darüber zu entscheiden, ob zwei afrikanische Männer für Kriegsverbrechen im Bürgerkriegsland Kongo verantwortlich sind. Den Männern wird vorgeworfen von Deutschland aus Massaker und Massenvergewaltigungen befohlen zu haben. Die internationale Aufmerksamkeit ist dem Gericht sicher. Denn die beiden in Deutschland lebenden Angeklagten gelten als Führer der für Gräueltaten im Kongo berüchtigten Miliz "Forces Démocratique de Libération du Ruanda" (FDLR). Die FDLR gilt als gut organisiert, mit einem weit vernetzten Exekutivkommando mit Stützpunkten unter anderem in Europa, den USA und Kanada. In dem Prozess kommt erstmals das 2002 in Deutschland in Kraft getretene Völkerstrafrecht zur Anwendung.



Die Bundesanwaltschaft wirft den am 17. November 2009 in Deutschland festgenommenen Männern ruandischer Staatsangehörigkeit vor, im Jahr 2008 und bis zum 17. November 2009 aus der Ferne Massaker, Massenvergewaltigungen, Plünderungen und die Rekrutierung von Kindersoldaten im Ostkongo befohlen, gebilligt, mindestens aber als Befehlshaber nicht verhindert zu haben. Dem FDLR-Präsidenten und obersten Befehlshaber, Ignace M., und seinem Stellvertreter, Straton M., drohen lebenslange Freiheitsstrafen.



Anklagte sollen von Deutschland aus ruandische Rebellengruppe gesteuert haben

Laut Anklage wird dem fast 48-jährigen Ignace M. und seinem 50-jährigen Mitstreiter zur Last gelegt, von Deutschland aus die Vorgehensweise, Strategien und Taktiken der FDLR, einer bewaffneten Rebellengruppe aus ruandischen Staatsangehörigen, gesteuert zu haben. Sie seien somit für 26 Verbrechen gegen die Menschlichkeit und 39 Kriegsverbrechen verantwortlich.



Die FDLR ist laut Bundesstaatsanwaltschaft eine überwiegend aus Angehörigen der Volksgruppe der Hutu bestehende Rebellengruppe, die ursprünglich von den 1994 aus Ruanda geflüchteten Verantwortlichen des Völkermordes an der Volksgruppe der Tutsi gegründet wurde. Sie verfolge das Ziel, die gegenwärtige Regierung Ruandas zu entmachten. Durch regelmäßige gewalttätige Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung versuche sie, ihre Machtstellung im Ostkongo auszubauen. Zugeschrieben wird den Milizen unter anderen zwei Massaker in Luofo und Busurungi mit zahlreichen Toten.



Befehl für Massaker per SMS und Email?

Medienberichten zufolge sollen die Aktionen mit dem zuletzt in Mannheim wohnhaften Familienvater Ignace M. per Handy, Skype oder Email direkt abgestimmt worden sein. Die Ermittler stützten sich demnach auf umfassende Abhörprotokolle. Zur Hilfe kam den Ermittlern laut einem "Zeit"-Bericht ebenfalls ein Fernsehinterview von Ignace M.



Darin schildert der in Deutschland promovierte Volkswirt, gegen den bereits zuvor aufgrund eines internationalen Haftbefehls erfolglos ermittelt worden war, die FDLR als straffe Organisation, deren Strategie er bestimme. Wenig bekannt geworden ist bislang über den zweiten Angeklagten, Straton M., der laut einer SWR-Dokumentation drei Jahre lang im baden-württembergischen Justizministerium als Computerexperte tätig gewesen sein soll.



Dass es nun in Stuttgart zum Prozess kommt, ist auf das dem Völkerstrafgesetzbuch zugrunde liegendem Weltrechtsprinzip zurückzuführen. Das heißt, auch wenn der Tatort nicht in Deutschland ist, Täter oder Opfer nicht deutsche Staatsangehörige sind, kann ein deutsches Gericht völkerstrafrechtliche Tatbestände wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit - zum Beispiel Mord, Versklavung oder Deportation - Kriegsverbrechen und Aggression aburteilen.



Aufwendige Ermittlungen in Kongo und Ruanda

In dem hiesigen Fall haben die deutschen Ermittler großen Aufwand betrieben und auch direkt in Ruanda und Kongo Beweise und Zeugenaussagen gesammelt, berichtet ein mit dem Fall besonders vertrauter Völkerrechtler. Man habe auch sehr eng mit den Anklagebehörden in Den Haag zusammengearbeitet, bevor die Rädelsführer in Deutschland sowie der FDLR-Exekutivsekretär in Paris - er wurde nach Den Haag überstellt - festgenommen wurde.



In Stuttgart sind 20 Verhandlungstage bis Ende Juli angesetzt. Am ersten Prozesstag sollte die Anklage verlesen werden. Doch der Prozess ist unmittelbar nach seiner Eröffnung am Mittwoch unterbrochen worden. Die Verteidigerin Ricarda Lang kündigte einen Antrag gegen die Besetzung der Generalbundesanwaltschaft an. In voller Länge umfasst die Anklageschrift fast 200 Seiten mit einem 50 Seiten langen Anhang. Außerdem bekommen die beiden Angeklagten die Gelegenheit, sich zu äußern. Als Zeugen sind an den weiteren Prozesstagen unter anderen ermittelnde Beamte des Bundeskriminalamtes geladen. Ein Sachverständiger und ein Zeuge sowie Urkunden und Schriftstücken sollen das Agieren der FDLR erhellen. Die Anhörung von Zeugen aus Kongo und Ruanda ist - wohl auch zu deren Schutz - bislang nicht vorgesehen.