Präses Schneider kritisiert Streit um gestrandete Tunesier auf Lampedusa

Spielball innenpolitischer Interessen

Die laufende Debatte um den Umgang mit Flüchtlingen aus Nordafrika ist laut Präses Schneider beschämend. "Die Lage in Nordafrika bedeutet unendliches Leid für die betroffenen Menschen." Ausgelöst hatte den Streit die mögliche Visa-Vergabe an Tausende auf Lampedusa gestrandete Menschen.

 (DR)

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, sprach sich für eine Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland aus. Er forderte zudem ein abgestimmtes europäisches Einwanderungsprogramm. Schneider sagte der "Passauer Neuen Presse", vor dem Leid der Menschen könnten "wir nicht die Augen verschließen". Zu der laufenden Debatte in der EU sagte der Theologe: "Da entsteht der Eindruck eines Schwarzer-Peter-Spiels. So geht das nicht." Nötig sei "eine Lösung aus einem gemeinsamen europäischen Geist heraus".



Kritik an Bundesinnenminister Friedrich

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) erntete für seine ablehnende Haltung zur Aufnahmen von Flüchtlingen in Deutschland Kritik von Grünen und Linken sowie aus der FDP. Der Innen- und -Rechtsexperte der Liberalen, Hartfrid Wolff, lehnte die Wiedereinführung von Grenzkontrollen ab. "Ich halte nichts davon, mit Grenzkontrollen zu drohen. Das hätte deutlich mehr Auswirkungen auf das grenzfreie Schengen-System als die aktuelle Bekämpfung illegaler Migration. Es ist besser, eine politische Lösung mit Italien zu suchen", sagte Wolff der in Berlin erscheinenden Tageszeitung "Die Welt" (Mittwoch).



Spielball innenpolitischer Interessen

Damit distanzierte er sich von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (beide CSU), die Grenzkontrollen in Erwägung ziehen. "Wir haben innerhalb Europas und des Schengen-Raumes Reisefreiheit und Freizügigkeitsregelungen, die beachtet werden müssen und von denen gerade Deutschland profitiert", sagte Wolff weiter. Er griff den bayerischen Innenminister direkt an: "Herr Herrmann sollte die Lage auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa ebenso wenig für innenpolitische Manöver benutzen, wie dies offensichtlich die italienische Regierung Berlusconi tut. Flüchtlinge dürfen weder in Italien noch in Deutschland zum Spielball innenpolitischer Interessen gemacht werden."



Friedrich: "engmaschige Grenzkontrollen"

Innenminister Friedrich hatte am Montag beim Treffen der EU-Innenminister in Luxemburg "engmaschige Grenzkontrollen" angekündigt. Die EU könne nicht akzeptieren, dass über Italien viele Wirtschaftsflüchtlinge nach Europa kämen. Der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im EU-Parlament, Alexander Graf Lambsdorff, sagte im WDR, "Liberale, Sozialdemokraten und andere" hätten eine andere Auffassung davon, "wie eine moderne Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik auszusehen hat". Lambsdorff plädierte dafür, dass Deutschland "ein paar hundert" der Flüchtlinge aufnimmt, die in den vergangenen Wochen in Italien angekommen sind. Diese Menschen müssten in Europa verteilt werden.





Grüne: Europa ist keine Festung

Die Linksfraktion warf Friedrich vor, er schüre Vorurteile gegen die Flüchtlinge. Wer diese Menschen als Wirtschaftsflüchtlinge diffamiere, "spielt wieder die alte Leier", sagte die innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke. Die Grünen schlugen vor, die Flüchtlinge auf die EU-Mitgliedsstaaten zu verteilen. "Europa kann auf die Situation der Flüchtlinge aus Nordafrika nicht so reagieren, dass einfach die Zugbrücken hochgezogen und Europa zur Festung erklärt wird", sagte der Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin.





Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Altmaier (CDU), hält Friedrichs Vorgehen dagegen für gerechtfertigt und richtig. Italien sei in der Lage, den Flüchtlingszustrom zu bewältigen, sagte er. Im vergangenen Jahr habe Italien halb so viele Flüchtlinge aufgenommen wie Deutschland. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), sagte der "Passauer Neuen Presse" (Dienstagsausgabe), wenn Wirtschaftsflüchtlinge aus Nordafrika von Italien Touristenvisa erhielten, verstoße das gegen geltendes Recht.





"Größere Lösung" für das Flüchtlingsproblem

Der FDP-Politker Wolff bezeichnete Berlusconis "Durchreisevisa", mit denen der Regierungschef Flüchtlinge in andere EU-Staaten weiterziehen lassen wolle, als "antieuropäischen Affront", den sich Deutschland nicht gefallen lassen dürfe. Der Liberale forderte eine "größere Lösung" für das Flüchtlingsproblem und unterstrich: "Zunächst steht Italien in der Verantwortung. Die Europäische Union sollte aber eine gemeinsame Regelung dafür finden, weil die Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen ankommen."



Wolff: Mehr Kooperation mit den nordafrikanischen Staaten

Deutschland sollte an einem nachhaltigen Gesamtkonzept der EU für die Aufnahme von Flüchtlingen mitarbeiten. "Da ist es nicht hilfreich, über Grenzabschottungen nachzudenken. Denn die EU ist eine Gemeinschaft der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts", sagte Wolff. Deutschland sollte sich zugleich deutlich intensiver darum bemühen, mit den nordafrikanischen Staaten stärker zu kooperieren. Wolff brachte auch weitere finanzielle Hilfen ins Gespräch. "Es ist besser, das Flüchtlingsproblem vor Ort in den Ländern zu lösen, als sich hinterher mit den Folgen auseinanderzusetzen", sagte Wolff der Zeitung. Er ist Mitglied des FDP-Bundesvorstandes und Vorsitzender des Arbeitskreises Innen- und Rechtspolitik der FDP-Bundestagsfraktion.



In Italien sind in diesem Jahr bereits weit über 22.000 Flüchtlinge in Booten angekommen. Der größte Teil von ihnen stammt aus Tunesien, ein kleinerer aus Libyen und anderen Ländern. Wegen der anhaltenden Gewalt in Libyen wird mit einer weiter wachsenden Zahl von Flüchtlingen aus dem nordafrikanischen Land gerechnet.