Die Lage auf Haiti bleibt trotz der Wahlen unübersichtlich

Der Nächste, bitte

Sonntagmorgen in Haiti: Schlangen vor den Abstimmungslokalen, lückenhafte Wahllisten und fehlende Stimmzettel. Der Auftakt zur Stichwahl um das Präsidentenamt scheint den Klischees über den krisengeschüttelten Karibikstaat zu entsprechen. Eine Mischung aus Chaos und Lethargie liegt über dem Urnengang, dessen erste Zwischenergebnisse am 31. März bekanntgegeben werden sollen.

Autor/in:
Joachim Heinz
 (DR)

Am 16. April, so sieht es zumindest der offizielle Fahrplan vor, steht dann der Nachfolger von Amtsinhaber Rene Preval fest - fast ein halbes Jahr nach dem allerersten Wahlgang. Immerhin: In der Zwischenzeit hat sich Einiges getan, was in diesem Zusammenhang allerdings nicht viel Gutes heißen muss. Die beiden übrig gebliebenen Bewerber um den Posten des Präsidenten, der populäre Sänger Michel "Sweet Micky" Martelly sowie die Wissenschaftlerin Mirlande Manigat, mutierten dabei fast schon zu Statisten. Denn die große Bühne gehörte in den zurückliegenden Wochen zwei prominenten Rückkehrern mit dunkler Vergangenheit und undurchsichtigen Plänen für die Zukunft: Ex-Diktator Jean-Claude "Baby Doc" Duvalier (59) sowie, Ironie der Geschichte, der erste frei gewählte Präsident Haitis und zugleich einer der korruptesten Politiker seines Landes, Jean-Bertrand Aristide (57).



Beide sehen sich nach wie vor als Sachwalter der sogenannten einfachen Leute. Und beide können dabei auf einen beträchtlichen Rückhalt in der Bevölkerung bauen. Duvalier, dessen Familie Haiti drei Jahrzehnte lang im wahrsten Sinne des Wortes ausbluten ließ, stehen überdies die Terrortrupps der "Tontons Macoutes" sowie Teile der unter Aristide aufgelösten Armee zur Durchsetzung seiner Interessen zur Verfügung. Aristide darf seinerseits ebenfalls auf schlagkräftige Unterstützung hoffen, etwa in den Elendsvierteln der Großstädte, wo das Leben nicht erst seit dem verheerenden Beben von 2010 ganz eigenen Gesetzen folgt.



Neuerliche Blockade droht

Die Situation scheint verfahren, selbst wenn die Wahlen zu einem eindeutigen Ergebnis kommen, wie der aus Haiti stammende Soziologe Marc Auguste befürchtet. Duvalier hat sich offenbar auf die Seite des aussichtsreichsten Bewerbers, des Sängers Martelly, geschlagen. Aristide hingegen gab sich nach seiner Ankunft am Freitag staatsmännisch - und gedachte zunächst einmal der schätzungsweise über 300.000 Opfer des Erdbebens. Die Tatsache, dass der ehemalige Salesianerpater eine Wiederzulassung seiner von der aktuellen Wahl ausgeschlossenen Bewegung Fanmi Lavala forderte, deutete aber darauf hin, dass er durchaus eigene politische Ambitionen hat. Das könne in Haiti zu einer neuerlichen Blockade führen, so Auguste.



Dabei gäbe es soviel zu tun: Der Wiederaufbau des Landes lässt weiter auf sich warten; immer noch schlafen viele Menschen in Notunterkünften. Die seit dem Herbst grassierende Cholera bindet zusätzliche Kräfte, die eigentlich für so etwas wie eine wirtschaftliche Wiederbelebung sorgen könnten. Hinzu kommt: Nach dem Beben in Japan ziehen manche Organisationen ihre Helfer ab, um sie andernorts einzusetzen.



Angesichts derartig herkulischer Herausforderungen mutet die Ruhe, die der haitianische Internetdienst "AlterPresse" an diesem Wahlsonntag meldet, geradezu gespenstisch an. Hinter den Kulissen belauern sich die Kontrahenten - Zeit genug dazu haben sie ja. Aristide wird jetzt die Lage sondieren. Martelly musste kurzfristig um einen prominenten Unterstützer bangen. Der international bekannte Hip-Hop-Star Wyclef Jean wurde am Vorabend der Wahl bei einer Schießerei leicht verletzt. Und "Baby Doc" Duvalier wartet vorerst ab. Er wurde zuletzt des Öfteren abends auf Jazzkonzerten gesichtet.