Beim Weltsozialforum fordern Migranten in einer Charta Rechte

Gegen Polizeiwillkür und Schulverbot

Sie kommen aus Sierra Leone, der Elfenbeinküste oder Liberia: Migration ist ein Thema, das Afrika stark beschäftigt. Krieg, Armut und Gewalt bewegen die Menschen, in Nachbarländer oder nach Europa zu gehen. Auf dem Weltsozialforum im Senegal wird über eine Weltcharta für Migranten diskutiert.

Autor/in:
Odile Jolys
 (DR)

Flüchtlinge halten vergilbte Papierfetzen hoch. Es ist die Anerkennung ihres Flüchtlingsstatus" - oder die Ablehnung, die sie auch seit Jahren aufbewahren. Denn sonst haben die Migranten im Senegal oft kein amtliches Dokument über ihre Identität.



"Selbst mit politischem Asyl haben wir keine Rechte und bekommen keine Hilfe", klagt die 38-jährige Ann Gilokoroma aus Sierra Leone, die seit zehn Jahren im Senegal lebt. "Kein Amt erkennt das Papier an und die Polizei auch nicht, jedes Mal schikaniert sie uns." Ihr sechsjähriger Sohn könne nicht in die Schule gehen: "Die öffentliche Schule verlangt eine Geburtsurkunde. Ich habe keine."



Flüchtlinge machen ihrem Ärger Luft

Auf dem Weltsozialforum, wo in dieser Woche Zehntausende Globalisierungskritiker aus allen Teilen der Erde zusammenkamen, machen die Flüchtlinge ihrem Ärger Luft. Sie sind erschöpft und desillusioniert. Adama Koné zum Beispiel verließ die Elfenbeinküste 2002, nachdem Rebellen und Banditen seinen Lebensmittelladen zerstört hatten. Er findet im Senegal keine Arbeit, einen eigenen Laden kann er legal nicht betreiben. "Ich will weg, das UN-Flüchtlingshilfswerk mich in ein anderes Land bringen", verlangt er.



Migranten in Afrika müssen auch Feindseligkeiten der Bevölkerung ertragen. Ähnlich wie in Europa sind illegale Zuwanderer oft der Skrupellosigkeit von Arbeitgebern ausgesetzt. Riskieren sie in Europa bei jeder Kontrolle, abgeschoben zu werden, fordern in Afrika die Uniformierten meist Geld oder sexuelle Gefälligkeiten.



Mandjiguène Cissé kennt diese Geschichten. Die Aktivistin aus dem Senegal lebte selbst vier Jahre lang illegal in Frankreich. Sie wurde bekannt, als sie Mitte der 90er Jahre den ersten großen Protest der "Sans-Papiers", der Menschen ohne Papiere, in Frankreich anführte. Wochenlang hielten die Illegalen eine Kirche in Paris besetzt. Cissé erinnert sich gern: "Endlich konnten wir zeigen, dass wir keine Kriminellen sind, sondern normale Arbeiter." Heute habe sich die Lage verschlechtert: "Der Norden verbarrikadiert sich."



Auf der einstigen Sklaven-Insel Gorée vor der Küste Dakars erstellten 200 Migranten aus aller Welt kurz vor Beginn des Weltsozialforums am Wochenende eine Weltcharta für Migranten. Darin wird Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit für alle Menschen verlangt, ganz gleich, ob ihre Migration freiwillig oder erzwungen ist. Die Hauptforderung der Charta lautet, dass jeder Mensch seinen Wohnort frei wählen können soll, mit allen Rechten.



"Wir wollen eine Bürgerschaft"

Jeloul Ben Hamida hat das Projekt mit auf den Weg gebracht. Er will, dass sich Menschen in der globalisierten Welt so frei bewegen und niederlassen können, wie es bereits mit Geld oder Gütern der Fall ist. Die Charta wolle aber noch mehr, erklärt der in Frankreich lebende Tunesier: "Wir wollen eine Bürgerschaft, die auf dem Wohnort basiert und nicht auf der Staatsbürgerschaft, also der Nationalität."



Die "Sans-Papiers"-Aktivistin Cissé bekam schließlich eine offizielle Aufenthaltsgenehmigung in Frankreich, kehrte aber zum Erstaunen vieler in den Senegal zurück. Sie habe nur Geld verdienen wollen, um sich zu Hause eine Existenz aufzubauen, sagt sie. Die Verbindung von Migration und Entwicklung ist ihr zentrales Anliegen: Wie können die in Europa lebenden Afrikaner zu Fortschritten in der Heimat beitragen?



Zu viel Geld, das Migranten nach Hause schicken, fließt nach Einschätzung der Senegalesin in Prestigeprojekte: "Da wird zum Beispiel ein Palast in einem Dorf gebaut." Cissé will, dass die Afrikaner in Europa ihren Familien mehr von ihren Problemen berichten. Ihr schwer verdientes Geld dürfe nicht verschwendet werden, um Faulenzer zu unterstützen. Cissé: "Der Migrant in Spanien arbeitet tagelang auf den Feldern. Er ist erschöpft, und in seinem Dorf in Afrika ruht sich einer aus, der nur auf das Geld wartet."