Lale Akgün gegen "Geschwätz" in der Integrationsdebatte

"Multi-Kulti ein Erfolgsmodell"

Die Debatte über die Integration von Zuwanderern in Deutschland gewinnt an Schärfe. Nun erklärte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel Multi-Kulti als gescheitert. Die türkischstämmige SPD-Politikerin Lale Akgün erläutert im domradio.de Interview, warum sie Mulit-Kulti für ein Erfolgsmodell hält.

 (DR)

domradio.de: Frau Akgün, ist Multi-Kulti in Deutschland wirklich tot? --

Lale Akgün: Multi-Kulti in Deutschland ist meiner Meinung nach sowohl ein Erfolgsmodell als auch eben auch ein Problem vor allem in der Wahrnehmung vieler Menschen, die mit der neuen Unübersichtlichkeit nicht immer zurechtkommen.

domradio.de: Was ist denn genau das Problem dieser Menschen? Unübersichtlichkeit? Woran liegt es?--

Akgün: Nun ich sage einmal Folgendes: In den letzten 30 Jahren hat sich die Gesellschaft ja sehr verändert, sie ist sehr viel pluraler geworden, sie hat sich geöffnet, sie hat sich globalisiert. Und bei vielen Menschen erzeugt es Angst, wenn die Globalisierung und die Veränderung nicht nur im Fernsehen ist, sondern direkt in der Straße, in der man wohnt. Also fremde Gesichter, fremde Sitten, fremde Kleidung - das alles lässt die Menschen fragen: Wie hat sich eigentlich mein Umfeld verändert und wie geht es mir damit? Und wenn dazu noch Probleme vor der Haustür auftauchen, normale nachbarschaftliche Probleme, dass der eine den Müll nicht ’runterbringt oder den Müll auf die Straße kippt, oder dass die Kinder laut sind, dann erzeugt das die Angst, dass man im eigenen Land überfremdet ist.

domradio.de: Wie kann das denn sein, wo wir es doch seit vielen Jahren mit Menschen in unserer Straße zu tun, als Nachbarn Tür an Tür zum Beispiel, und wir doch inzwischen soweit sind, dass unserer Bundespräsident Christian Wulff sagt: Islam gehört zu Deutschland. Wie kann es dann sein, dass die Leute heute immer noch verwirrt sind und das Ganze als unübersichtlich empfinden?--

Akgün: Nun, Herr Wulff hat sicherlich ganz abstrakt gesprochen. Abstrakt ist alles sehr einfach, abstrakt gehört der Islam natürlich zu Deutschland. Und abstrakt kann man natürlich auch von Multi-Kulti reden. Ich glaube, wir haben all die Jahre nebeneinander gelebt, aber wenig miteinander. Wenn Sie mal genau hinhören, wenn die Leute von Multi-Kuli schwärmen oder auch davon, wie toll alles in der Straße klappt, dann sagen sie immer: Ich geh" beim Türken Gemüse kaufen. Mit Gemüse kaufen allein kann man aber keine Kommunikation herstellen. Oder nur eine sehr brüchige Kommunikation. Deswegen glaube ich, dass wir in den letzten Jahren zwar Tür an Tür oder Straße an Straße gelebt haben, uns aber zu wenig kennengelernt haben. Und wenn man sich nicht kennt, dann hat man einen wunderbaren Fundus für viele Vorurteile.

domradio.de: Und für viele Ängste. Um den Menschen die Angst zu nehmen, vielleicht deshalb haben Angela Merkel und Horst Seehofer jetzt am Wochenende und in den letzten Tagen darauf bestanden, dass die hier lebenden Menschen sich alle zur deutschen Leitkultur bekennen sollen. Was halten Sie davon?--

Akgün: Nun, das ist natürlich auch wieder so ein Geschwätz, entschuldigen Sie den Ausdruck, weil es auch völlig abstrakt ist. Bekennen Sie sich bitte zur deutschen Leitkultur - was heißt denn das heruntergebrochen auf meine Straße und die Menschen, mit denen ich zusammenlebe? Zum einen glaube ich, dass wir uns alle zum Rechtsstaat bekennen müssen. Da gibt es kein Wenn und Aber. Es ist ganz, ganz wichtig, das noch einmal klargestellt wird, dass sich in einem Rechtsstaat alle an die Regeln halten. Das geht auch nicht anders. Wenn es Rot ist an der Ampel, halten alle an, da kann ich nicht sagen: Entschuldigung, ich komme aus einer anderen Kultur, ich fahre mal schnell durch. Das ist ein ganz einfaches, lapidares Beispiel dafür, dass wir uns alle an Gesetze halten müssen. Das ist im Rechtsstaat so und das ist auch gut so. Auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass wir jemandem eine andere Lebensart aufzwingen wollen, wie jemand privat zu leben hat, welche Sprache er zuhause spricht, welches Essen er isst. Das ist alles Privatsache, solange sich die Leute an die Regeln halten, solange sie in der Öffentlichkeit keinen Ärger verursachen, so lange haben sie auch das Recht, privat ihr Leben zu leben. Ich meine, wir leben beide in einer Großstadt wie Köln, und da sehen Sie eine Vielzahl von Milieus. Ich kann ja nicht ein Milieu zwingen, so zu leben wie die anderen. Ich kann den Leuten vom Golfclub nicht sagen: Ab morgen seid Ihr Mitglieder im Schützenverein. Und den Schützen kann ich nicht sagen: Ab morgen seid Ihr im Schwimmverein. Das geht einfach nicht. Jeder hat das Recht, sein Privatleben so zu gestalten, wie er oder sie es möchte.

domradio.de: Wenn wir jetzt sagen, diese Regeln fußen auf dem christlichen Menschenbild. Würden Sie da zustimmen, so wie Herr Seehofer es gefordert hat? --

Akgün: Nun, das christliche Menschenbild ist etwas anderes. Ich glaube, unserem christlichen Menschenbild liegt auch das Bild der Nächstenliebe, der Hilfe usw. zugrunde. Das ist heute ja sicher alles in Gesetzesform gegossen. Das ist auch wieder sehr abstrakt: Das Menschenbild. Ich könnte genauso gut sagen: Unseren Gesetzen liegt das humanistische Menschbild zugrunde, je nach Weltanschauung. Ich selbst als Muslimin kann auch sagen: Da liegt das muslimische Menschenbild zugrunde. Weil Sie, wenn Sie die Philosophie meiner Religion nehmen, auch Nächstenliebe und Unterstützung von Armen usw. finden werden. Wir müssen uns nur einfach fragen: Wie regeln wir das miteinander und wie können wir eigentlich aufhören, bestimmte Weltanschauungen gegeneinander auszuspielen? Es hat doch keinen Sinn zu sagen: Das christliche Menschenbild ist besser als das muslimische und das muslimische besser als das humanistische. Und die Atheisten sagen: Das ist alles Quatsch, unser Weltbild ist viel besser. Das hat keinen Sinn! Wir müssen lernen, miteinander auszukommen in einer pluralen Gesellschaft. Und wir müssen eine Basis finden, auf der alle Platz haben. Das kann eben nur das Gesetz sein und der Rechtsstaat.

domradio.de: Wenn wir jetzt von dieser Basis ausgehen und sagen: Wir müssen alle miteinander klarkommen und uns nach denselben Regeln verhalten, dann wird u.a. - da geht CDU/CSU noch weiter - gefordert: Die Migranten müssen sich auch mehr anstrengen, was die Integration hier betrifft. Dazu gehört u.a., sie müssen der deutschen Sprache mächtig sein. --

Akgün: Da gibt es ja kein Vertun. Das ist ganz klar. Also darüber müssen wir gar nicht diskutieren. Das müssen wir auch nicht wiederholen. Jeder, der hier lebt, muss die Lingua franca sprechen und das ist eben Deutsch, da gibt es kein Vertun und alle müssen diese Sprache beherrschen. Das ist ja die Umgangssprache. Wenn Sie nicht in der Lage sind, auf einer Behörde zu kommunizieren, in der Schule, im Kindergarten, am Arbeitsplatz, dann sind Sie zwar physisch hier, aber nicht psychisch und mental. Und das geht nicht.

domradio.de: Wie hilfreich ist es denn dann, wenn die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Maria Böhmer in diesem Zusammenhang fordert: Deutsch-Pflicht auf Schulhöfen? --

Akgün: Diese Deutsch-Pflicht auf Schulhöfen ist ja auch so eine Sache, die ich als Psychologin und jemand, der sich mit diesen Themen beschäftigt hat, nicht nachvollziehen kann. Ich glaube, es wäre der Sache viel dienlicher, wenn wir davon reden würden: Wie kann man es schaffen, dass Kinder gern Deutsch sprechen, dass sie Deutsch als ihre zweite Muttersprache verstehen und mit der Sprache auch zurecht kommen. Wenn ich in der Pause als Kind türkischer Immigranten mit den anderen türkischen Kindern türkisch rede, dann bedeutet das doch etwas. Darüber müssen wir nachdenken und nicht ihnen die Sprache verbieten. Übrigens, ich bin ja dafür - das unterstreiche ich zehnmal -, dass jedes Kind in unserem Land dreisprachig sein muss: Deutsch selbstverständlich, Englisch selbstverständlich und dazu noch die Familiensprache. Denn nur so können wir heute den Anforderungen der globalisierten Welt genügen. Schicken Sie mal heute eine Bewerbung ab, in der Sie nicht mindestens drei Sprachen angeben, die werden Sie ganz schnell zurückbekommen.