Debatte über Integration verschärft sich

Raus oder rein?

Das Thema Einwanderung und Integration belastet die schwarz-gelbe Koalition. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle stellte sich am Montag in Berlin offen gegen CSU-Chef Horst Seehofer, der den Zuzug von Ausländern begrenzen will. Brüderle forderte statt dessen eine Willkommenskultur für ausländische Arbeitnehmer und brachte erneut ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild ins Gespräch. Unterstützt wurde er darin von Cem Özdemir.

 (DR)

Brüderle warf Seehofer "Stimmungsmache" vor. Deutschland müsse "alles an Potenzial aktivieren", sagte der FDP-Politiker. Dazu zähle auch eine qualifizierte Zuwanderung, "weil man nicht aus jedem Schulabbrecher einen IT-Spezialisten machen kann".



Die Grünen äußerten scharfe Kritik an Seehofer und an Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die am Wochenende ebenfalls eine härtere Gangart bei der Integration gefordert hatte. Parteichefin Claudia Roth warf Seehofer Hetze vor. Seehofer verfahre nach dem alten konservativen Reflex: "Steht die CSU unter 40 Prozent, geht es gegen die Ausländer", sagte sie.



Zuvor hatte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin bereits erklärt, Seehofer bereite den Boden für Rechtsextremismus. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast wies die Äußerung von Bundeskanzlerin Merkel vehement zurück, "Multikulti" sei gescheitert. "Mit solchen Aussagen versucht Merkel nur von den Problemen ihrer Partei abzulenken", sagte Künast.



Özdemir fordert von Wulff Distanzierung

Im Fokus der Debatte steht erneut auch Bundespräsident Christian Wulff, der am Montag zum viertägigen Staatsbesuch in die Türkei reiste. Grünen-Chef Cem Özdemir forderte Wulff auf, er solle konstruktiv über Integration reden und deutlich machen, dass die Integrationsdebatte in Deutschland nicht "von den Rechtspopulisten Seehofer und Sarrazin dominiert", sondern von einem parteiübergreifenden Interesse an einer rationalen Debatte bestimmt werde.



Der integrationspolitische Sprecher der SPD, Rüdiger Veit, sagte, angesichts der "unverständlichen Äußerungen von Horst Seehofer sollte Wulff den Türken sagen, dass sie hier in Deutschland willkommen sind."



FDP-Generalsekretär Christian Lindner wertete die Haltung Seehofers als "Versuch, die Lufthoheit über den Stammtischen von Thilo Sarrazin zurückzugewinnen". Pauschalurteile und kulturelle Abschottung seien falsch, sagte Lindner.



Linke-Parteichef Klaus Ernst erklärte, Seehofer vergifte die politische Debatte und schrecke Menschen ab, sich in Deutschland zu engagieren. "Es ist eine Schande, dass solche Worte ausgerechnet vom Ministerpräsidenten eines Landes kommen, das so sehr vom Export lebt wie Bayern. Seehofer schadet Bayern, als Land und als Wirtschaftsstandort."



Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, widersprach Seehofer. "Es gibt massive Handlungsnotwendigkeiten", sagte er. "Im Augenblick kommen 700.000 Menschen pro Jahr rein, aber mehr als 700.000 Menschen verlassen uns auch wieder. Wir sind ein Auswanderungsland." Das sei eine gefährliche Entwicklung.