Die Menschenrechtlerin Bärbel Bohley ist tot

Mutter der Revolution

Bärbel Bohley hat es sich und anderen nie leicht gemacht: Sei es als Künstlerin, in deren Arbeiten stets auch ihr politisches Engagement zum Ausdruck kam; sei es als DDR-Bürgerrechtlerin, die stets hartnäckig und streitbar für das eintrat, was ihr wichtig war. Am Samstag erlag Bohley im Alter von 65 Jahren in Berlin einem Krebsleiden.

Autor/in:
Hans-Jürgen Röder
 (DR)

Geboren wurde sie kurz nach Kriegsende, am 24. Mai 1945 in Berlin. Nach Abitur und Lehre als Industriekauffrau wendet sie sich der Kultur zu und studiert an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee. Von 1974 an arbeitet sie als freischaffende Künstlerin, hat erste Ausstellungen und arbeitet sogar in Gremien des SED-gelenkten Verbandes Bildender Künstler mit.



Mit ihrem pazifistischen Grundverständnis stößt sie bald bei der herrschenden Partei auf Widerstand. Als sie 1982 zusammen mit Ulrike Poppe und anderen das unabhängige Netzwerk "Frauen für den Frieden" gründet, interessiert sich die DDR-Staatssicherheit für ihr Engagement. Noch im selben Jahr wehrt sie sich mit einer Eingabe an Staats- und Parteichef Erich Honecker gegen die Militarisierung der DDR-Gesellschaft, in deren Zuge auch die Wehrpflicht für Frauen eingeführt werden soll.



Verhöre, Festnahmen, Untersuchungshaft

Es folgen Verhöre, Festnahmen, mehrmonatige Untersuchungshaft, zugleich aber auch immer engere Kontakte zur Friedensbewegung in Ost- und Westeuropa. 1986 gründet sie mit anderen die "Initiative Frieden und Menschenrechte", die bewusst unabhängig und außerhalb kirchlicher Strukturen arbeiten will.



Mit Erklärungen und Eingaben, aber auch mit dem hektographierten Untergrundblatt "Grenzfall" macht die Initiative auch in westlichen Medien auf sich aufmerksam - für die SED und ihre Staatssicherheit Grund, gegen die Mitglieder vorzugehen. Im Herbst 1987 wird in eines nachts die Umweltbibliothek der evangelischen Zionsgemeinde in Ost-Berlin durchsucht.



Doch das Vorgehen scheitert an der wachsenden Zahl junger Leute, die nicht mehr bereit sind, die SED mit ihrem Machtapparat widerspruchslos hinzunehmen. Es folgen Mahnwachen und Fürbittandachten, aber auch Erklärungen, Eingaben und Protestaktionen, bei denen Bohley zunehmend zur Symbolfigur der DDR-Opposition wird.



Nur wenige Wochen später schlägt die SED erneut zu. Anlass ist das jährliche Gedenken an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, an dem sich auch einige Widerständler mit Zitaten der beiden Kommunisten beteiligen. Die SED lässt daraufhin gleich mehrere Duzend Menschen verhaften. Wieder folgen Proteste, Fürbitten und emsiges Bemühen von Kirchenleuten wie dem Ost-Berliner Bischof Gottfried Forck um Freilassung der Bürgerrechtler.



Auch Bohley ist darunter. Die SED drängt massiv darauf, die Inhaftierten möglichst schnell in die Bundesrepublik abschieben zu können. 54 Inhaftierte müssen die DDR verlassen - acht mit der einmaligen Zusicherung der DDR-Führung, nach sechs Monaten in die DDR zurück zu können. Ein gutes halbes Jahr später machen Bärbel Bohley und Werner Fischer tatsächlich davon Gebrauch und zeigen, dass sie ihren Glauben an die Veränderbarkeit der DDR nicht verloren haben.



Mitbegründerin des "Neuen Forums"

Im Sommer 1989 gehört Bohley zu den Mitbegründern des "Neuen Forums", das als erste Oppositionsgruppe in der DDR mit Erfolg auf offizielle Anerkennung drängt. Es folgt die friedliche Kerzenrevolution mit Demonstrationen und Runden Tischen, die ab Ende 1989 maßgeblich zu einer geordneten Neuordnung der politischen Macht beitragen.



Bohley, die "Mutter der Revolution", ist dabei. Sie sitzt mit am DDR-weiten Runden Tisch, beteiligt sich an der Besetzung des Stasi-Zentrale in Ost-Berlin, übernimmt ein Mandat im Berliner Abgeordnetenhaus. 1994 wird sie zur Spitzenkandidatin des Neuen Forums für die Europawahl gewählt.



Doch politische Ämter hat sie nie angestrebt, wohl aber die Chance, für Benachteiligte und Hilfsbedürftige einzustehen. In den 90er Jahren wendet sie sich den Opfern der kriegerischen Gewalt auf dem Balkan zu. Da war es nur konsequent, dass sie 1996 für vier Jahre nach Bosnien ging.



In ihren letzten Lebensjahren organisiert sie für Kinder aus Flüchtlingsfamilien des ehemaligen Jugoslawiens kostenlose Sommerferien. 2008 kehrt sie zurück nach Berlin in ihre alte Wohnung in Prenzlauer Berg. Auch wenn sie sich krankheitsbedingt mehr und mehr zurückzieht, trat sie auch im vergangenen Jahr noch auf Podien auf: "Streitbar und unbequem", wie es im Nachruf der Robert-Havemann-Gesellschaft heißt.