Bestürzung über Mordanschlag auf christliche Helfer in Afghanistan

"Empört und erschüttert"

Der Mordanschlag auf christliche Helfer in Afghanistan hat in Deutschland Bestürzung ausgelöst. "Ich bin empört und erschüttert über den Mord an den Ärzten der christlichen Hilfsorganisation International Assistance Mission", erklärte der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang Kauder, am Sonntag.

 (DR)

Die afghanische Polizei müsse alles dran setzen, um die Täter zu rgreifen und zu bestrafen. Zugleich müsse erreicht werden, dass die Aghanen die Sicherheit in ihrem Land garantieren könnten. Der PD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sagte im ARD-Sommerinterview, der militärische Einsatz in Afghanistan könne das Land nicht befrieden. Damit könne man nur Zeit gewinnen, um eine politische Lösung zu suchen. Dabei müsse man auch mit Aufständischen sprechen.

Der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Jürgen Trittin, nannte den Anschlag erschreckend. «Das zeigt, wie wenig stabilisiert die Lage in Afghanistan heute ist», sagte er in den «Tagesthemen» am Samstagabend. Auch die Vorsitzende der Linkspartei, Gesine Lötzsch, äußerte sich bestürzt über die Ermordung von acht christlichen Helfern, darunter eine Deutsche, und zwei Afghanen.

Das Verbrechen führe einem vor Augen, wie falsch die derzeitige Politik sei, sagte Lötzsch. Im Interesse der Entwicklungshelfer, der deutschen Soldaten und der afghanischen Bevölkerung müsse die Bundeswehr sofort abgezogen werden.

Geheimdienste befürchten weitere Zunahme der Gewalt gegen Helfer
Nach der Ermordung von zehn Mitarbeitern der christlichen Hilfsorganisation «International Assistance Mission» (IAM) in Nordafghanistan befürchten Vertreter westlicher Geheimdienste eine weitere Zunahme der Gewalt am Hindukusch. Die Grausamkeit gegen zivile Helfer in Afghanistan werde «unerbittlich zunehmen», weil die Taliban glauben, auch auf diese Weise den Abzug «aller Ungläubigen aus Afghanistan erzwingen zu können», sagten mehrere Angehörige ausländischer Geheimdienste am Sonntag der Nachrichtenagentur ddp in Kabul.

Die radikal-islamischen Taliban haben nach Darstellung des afghanischen Geheimdienstes NDS nicht nur mit Stammesführern und Warlords, sondern auch mit den zahlreichen in Afghanistan operierenden kriminellen Banden ein «Netz von Spähern» aufgebaut, mit dem sie genau verfolgen, wo sie ihre Opfer am besten gefangen nehmen oder töten können. «Die Verständigung zwischen den einzelnen Gruppierungen erfolgt blitzschnell», erläuterte ein NDS-Vertreter. Es sei bis jetzt nicht gelungen, in diese Verbindungen einzudringen.

Wenn die Taliban selbst zugeschlagen haben, verkünden sie das umgehend über ihren «Propagandaparat» im Internet oder über ihre Sprecher. Haben Kriminelle die Opfer getötet oder entführt, springen die Taliban sofort «auf den Zug auf» und behaupten, sie seien es gewesen, die es wieder den «Ungläubigen und Besatzern gezeigt haben».

Die Kriminellen sind dagegen nach ihrer Tat ausschließlich daran interessiert, schnell unentdeckt mit ihrer Beute zu entkommen. «Sie wollen im Gegensatz zu den Taliban natürlich unerkannt bleiben», berichteten Beobachter der «afghanischen Szene». Nur im ostafrikanischen Somalia, das seit langen Jahren völlig gesetzlos im Bürgerkrieg und Terror versinkt, sei die Situation noch schlimmer.

Die Lage für die internationalen Hilfsdienste werde generell immer gefährlicher, berichteten die Geheimdienstler. Bisher hätten sich ausländische Ärzte und ihre Helfer bei ihren Einsätzen im Land relativ sicher fühlen können. Sie wurden im Gegensatz zu den ISAF-Truppen nicht als «Feinde» angesehen. Es sei bekannt gewesen, dass die Taliban diese Hilfe gerade auch in entlegenen Regionen, wo es überhaupt keine medizinische Versorgung gibt, sogar «gut geheißen» haben.

Mit dieser Zuversicht sind auch das internationale Ärzteteam und seine Begleiter in das einsame Gebiet in Nordafghanistan aufgebrochen. Das berichtete der Leiter von IAM in Kabul, Dirk Frans, wo die Organisation eine Augenklinik betreibt. Von Kabul aus starten die Teams regelmäßig in die Provinzen. Nach eigenen Angaben behandelt IAM Augenleiden und andere Beschwerden von mehr als 250 000 Afghanen pro Jahr. Wegen der zugenommenen Gefahren auch für zivile Hilfsorganisationen war die Fahrt und der Aufenthalt des IAM-Teams in so einsamen und gefährlichen Gegenden ohne irgendwelche Schutzmaßnahmen «unverständlich und sogar sträflich leichtsinnig», hieß es in Geheimdienstkreisen.

Die Taliban, die immer stärker werden, wollen «alles daran setzen, um ausländische Hilfe jeglicher Art, handle es sich auf sozialem, medizinischem oder bildungsmäßigem Gebiet, zu unterbinden. Das gehöre neben den verstärkten Angriffen und Überfällen auf die ISAF-Truppen zur neuen Taktik der Taliban, erklärten Geheimdienstler ddp in Kabul. Versuche, mit den Aufständischen in Verhandlungen zu treten, seien »sinnlos«. Die Vorstellungen, Anhänger der Taliban mit einem »Aussteiger-Programm« auf pekuniärer Basis zum Aufgeben zu bewegen, seien »illusorisch«, unterstrichen Geheimdienstkreise.

Nach der Ermordung der Mitglieder des IAM-Ärzteteams erklärten die Taliban, es habe sich um »christliche Missionare« gehandelt, die in Afghanistan Spionage betrieben hätten. Das wies Frans entschieden zurück. Er sagte, alle bisherigen Erkenntnisse würden auf einen Raubüberfall von Kriminellen hindeuten.

Erst im Sommer vor drei Jahren hatten die Taliban 23 Mitglieder einer südkoreanischen Kirchengruppe verschleppt, die im südlichen Kandahar, der Hochburg der Aufständischen, missionieren wollten. Beobachter sprachen damals von »kalkuliertem Wahnsinn". Zwei Koreaner wurden von den Taliban erschossen. Nach langwierigen Verhandlungen bekam die Regierung in Seoul ihre Landsleute frei. Sie musste versprechen, alle koreanischen Soldaten aus Afghanistan abzuziehen.