Der Dalai Lama wird 75 Jahre alt

Gottkönig ohne Land

Der Dalai Lama, geistliches und weltliches Oberhaupt der Tibeter, wird heute 75 Jahre alt. Seinen Landsleuten gilt der Dalai Lama als die 14. Wiedergeburt des Buddhas des Mitgefühls, dem Westen als eine moralische Instanz. Für chinesische Führung ist er ein Verräter und Aufrührer.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Der Ozean der Weisheit gluckst. Oder flüstert. Oder schweigt. Egal in welchem Aggregatzustand: Der Dalai Lama (übersetzt der «Ozean der Weisheit») füllt noch immer jeden Raum, in dem er sich gerade befindet. Es ist das außergewöhnliche Charisma dieses Religionsführers, das einen Teil seiner Attraktion ausmacht. Ein anderer ist seine bizarre Geschichte - und die einzigartige Rolle, die er auf der politischen Weltbühne spielt: Reinkarnation eines Gottes, König ohne Land, hofierter Flüchtling oder Unperson auf Zeit, freundlicher Friedensmahner, Popstar der Weltreligionen, Stachel im Fleisch profitorientierter China-Politiker. An diesem Dienstag wird das weltliche und geistliche Oberhaupt der Tibeter 75 Jahre alt.

Seit fünfzig Jahren auf Weltreise
Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist der 14. Dalai Lama überall auf der Welt zu finden - nur nicht dort, wo er historisch eigentlich hingehört: in Tibet. 1959 musste er vor den chinesischen Besatzern nach Indien fliehen, wo er heute noch Besucher aus aller Welt in seinem Hauptquartier in Dharamsala empfängt. Seit damals hat Peking nicht aufgehört, das «Dach der Welt» durch Umsiedlungen und «Stadtsanierungen» immer chinesischer zu machen - und den Dalai Lama durch immer neue Vorwürfe zu diskreditieren. Seine reaktionäre Haltung im Ausland, so heißt es, unterminiere die chinesischen Bemühungen um die wirtschaftliche Entwicklung der Region - weshalb er den Rückhalt bei den eigenen Leuten verloren habe.

Tatsächlich entlud sich im Frühjahr 2008 der Unmut der «jungen Wilden» unter den Tibetern in gewaltsamen Unruhen gegen die chinesische Führung. Sie glauben, ihr stets höflich lächelnder und so ganz und gar gewaltfreier Exil-König mache den Besatzern ohne Not zu viele Zugeständnisse. Denn der kleine Mann mit dem rot-gelben Gewand klebt nicht an dem Stuhl, den er ohnehin schon lange nicht mehr hat. Im Lauf der Jahre hat der Dalai Lama immer wieder Vorschläge zum Tibet-Status gemacht, die der verfahrenen Situation neue Impulse geben könnten - etwa eine Anerkennung der chinesischen Oberhoheit bei gleichzeitiger Gewährung echter Autonomie. Doch Peking will davon nichts wissen.

«Buddha-Boom» in Europa und USA
In den USA und in Europa dagegen hat der 14. Dalai Lama einen regelrechten «Buddha-Boom» ausgelöst. Freilich sind in den vergangenen Jahren seine Auftritte hierzulande nicht mehr ganz unumstritten. «Fußabtreter-Philosophie» lehre er in seinen Vorträgen, meinen westliche Kritiker und machen zudem eine Doppelgesichtigkeit aus: eine Buddhismus-Light-Variante mit einem gewinnenden Lächeln für das fernwestliche Publikum - und eine rückwärtsgewandte, feudale Hardcore-Theologie nach innen.

Auch mit dem Vatikan verbindet den Dalai Lama kein ganz unkompliziertes Verhältnis. Er vermisse Johannes Paul II., sagte das tibetische Oberhaupt einmal in einem Zeitungsinterview. Johannes Paul II. (1978-2005) hatte den Dalai Lama mehrfach zu Gesprächen empfangen. Mit Benedikt XVI. ist der Kontakt spärlicher - mutmaßlich auch wegen dessen Ambitionen, zu einem kirchenpolitischen Ausgleich mit Peking zu kommen. So löste 2008 Verwunderung aus, dass der Papst die blutigen Zusammenstöße in Lhasa unkommentiert ließ - während der Dalai Lama selbst sogar mit Rücktritt drohte.

Konflikt wird andauern
Über seine eigene Rolle im China-Konflikt und die Zukunft seines Amtes meditiert der Friedensnobelpreisträger von 1989 bereits seit langem. Der Dalai Lama müsse nicht weltliches Oberhaupt der Tibeter bleiben, meint er selbst. Wenn sich eine Jahrhunderte alte Institution überlebt habe, müsse man sie abschaffen. Die religiöse Dimension des Amtes bleibe jedoch auch in den kommenden Reinkarnationen erhalten. Wo er als nächster Dalai Lama wiedergeboren werden wird, da hat er sich bereits grob festgelegt: außerhalb des besetzten Tibet, dem Zugriff und der Manipulation Chinas entzogen. Das würde bedeuten, dass die Suche der Lama-Mönche nach dem auserwählten Kind noch länger dauern könnte als sonst. Eine Verstetigung des Konflikts wäre so vorprogrammiert.

Ohnehin wünschen die besonneneren Kräfte in Tibet dem charismatischen 14. Dalai Lama ein langes Leben. Dass die Auseinandersetzung mit China unter einem Nachfolger in Freiheit gelöst werden kann, glauben sie nicht. Und dass der Weg in die Gewalt der richtige sein sollte, auch nicht.