Ein Jahr nach dem Archiv-Einsturz sind die Kölner immer noch fassungslos - Gedenkgottesdienst neben der Einsturzstelle

Fehler, Versäumnisse, kriminelle Machenschaften

Die Kölner hatten sich schon daran gewöhnt, dass sich ganz Deutschland über die Kölner Kulturpolitik und all den Klüngel zwischen Politik, Parteien und Wirtschaft amüsierte. Doch als vor einem Jahr das Stadt-Archiv einstürzte, wurde schnell klar: Korruption statt Klüngel, Versagen aller Verantwortlichen statt "et hätt noh immer joot jejange". Der Schock sitzt tief.

 (DR)

Vor einem Jahr, am 3. März 2009, geschah in Köln das
Unglaubliche: Die Erde tat sich auf und verschlang das Historische Stadtarchiv. Zwei Menschen starben, unschätzbare Kulturgüter wurden verschüttet. Das bunkerähnliche Archiv stand direkt neben einer Baugrube für die geplante Nord-Süd-U-Bahn. Aber wenn das schon unglaublich war, wie soll man dann das nennen, was jetzt ans Tageslicht kommt: Seit Wochen werden fast jeden Tag neue Missstände auf den Baustellen aufgedeckt. Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) spricht von «Fehlern, Versäumnissen und kriminellen Machenschaften».

Ursache noch immer unklar
Warum genau das Archiv einstürzte, ist noch immer nicht bekannt. Die Staatsanwaltschaft verweist darauf, dass sie für ihre Ermittlungen die Baugrube neben der Einsturzstelle untersuchen muss. Dieser Krater steht aber immer noch unter Wasser. In den nächsten Monaten soll erst einmal ein riesiger Spezialkasten zur Befestigung der Kraterwände hineingebaut werden. Von dort aus sollen Experten die restlichen noch im Grundwasser liegenden Archivalien bergen. Und dann kann vielleicht irgendwann auch mal die Staatsanwaltschaft in Aktion treten. Ihre Geduld lässt Beobachter staunen.

Etwa 90 Prozent der Bestände sind inzwischen geborgen, aber fast jedes Stück ist beschädigt. Die geretteten Dokumente sind zurzeit auf 19 Archive in ganz Deutschland verteilt. Für die Restaurierung bräuchte man 30 Jahre lang 200 Restauratoren, die in Vollzeit daran arbeiten. Nach Schätzung der Stadt wird dies zwischen 300 und 500 Millionen Euro kosten - Geld, das einfach nicht da ist. Diese Summe beinhalte dafür aber auch die Sicherung, Zusammenführung und Digitalisierung des Archivguts, tröstete Kulturdezernent Georg Quander. Hinzu kommt noch der bereits vom Stadtrat beschlossene Bau eines neuen Archivgebäudes für 97 Millionen Euro.

Pfusch und Schlamperei
Es scheint, dass die Staatsanwaltschaft überall dort, wo sie den U-Bahn-Bau unter die Lupe nimmt, auf Pfusch und Schlamperei stößt. Mittlerweile ist klar: Es gab massive Probleme mit dem Grundwasser, was dazu führte, dass in der Baugrube neben dem Archiv 23 statt wie genehmigt vier Brunnen angelegt wurden. In einer anderen Baustelle fehlen bis zu 83 Prozent aller Sicherheitsbügel - Bauarbeiter sollen sie gestohlen und an Schrotthändler verkauft haben. Befestigungsanker wurden nach einem Verdacht der Staatsanwaltschaft gar nicht oder falsch eingebaut. Es gab Risse in den Sicherheitswänden, es wurde zu wenig Beton eingefüllt. Die Bauprotokolle wurden offenbar in Serie gefälscht.

Vieles, was jetzt ans Licht kommt, kann mit der Einsturzursache nichts zu tun haben. Es illustriert aber die Umstände, die eine solche Katastrophe möglich gemacht haben. Als wahrscheinlichste Theorie für den Einsturz gilt zurzeit, dass das massenhafte Abpumpen von Grundwasser unter dem Stadtarchiv zur Entstehung eines Hohlraumes führte. Irgendwann gab die Erde nach, und das Archiv stürzte ein.
Bürger haben Vertrauen verloren
Die Kölner Bürger haben mittlerweile jedes Vertrauen in die Behörden verloren. Spannend werden die nächsten Wochen. Wenn der Rheinpegel durch das Tauwetter auf 6,50 Meter steigt - was keineswegs unwahrscheinlich ist - soll die Baustelle Heumarkt in unmittelbarer Nähe des Flusses geflutet werden. Experten befürchten, dass der Druck durch das steigende Grundwasser sonst zu groß werden könnte.

Sprachlos macht viele Bürger, mit welch scheinbarer Selbstverständlichkeit eine solche Maßnahme von den Kölner Verkehrs-Betrieben (KVB) angekündigt wird - als wäre die Flutung einer riesigen Baustelle in der unmittelbaren Innenstadt völlig normal. Die Verantwortlichen agieren immer noch mit erstaunlichem Selbstbewusstsein und schwärmen vor der Presse, sie bauten an einem «unterirdischen Dom», und das sei eben ungeheuer komplex.

Wer ist schuld? Die Staatsanwaltschaft schweigt dazu auch noch ein Jahr später. Und ebenso tun es der Bauherr - die KVB - und die in einer Arbeitsgemeinschaft vereinten Baufirmen unter Leitung des Mannheimer Konzerns Bilfinger Berger. Seit einem Jahr lautet ihr Mantra, dass man die Ermittlungen abwarten müsse. Vermutet wird, dass sie alle mitverantwortlich sind: Die Baufirmen dürften Inkompetenz und kriminelles Verhalten zumindest ermöglicht haben, die KVB haben die Baufirmen unzureichend überwacht. Die Kölner Politiker schließlich müssen sich fragen lassen, warum sie all dem so lange seinen Lauf gelassen haben.

Gottesdienst zum Gedenken
Zum Gedenken an den Archiv-Einsturz in Köln vor einem Jahr findet ein Gottesdienst in unmittelbarer Nachbarschaft zur Unglücksstelle in der Kirche St. Johann Baptist statt. Die Kirchengemeinde St. Severin lade gemeinsam mit dem Zentrum CRUX der Kölner Jugendseelsorge um 19.30 Uhr zu einem musikalischen Gottesdienst ein, kündigte das katholische Jugendwerk am Dienstag an.

An dem Gottesdienst in der aus England überlieferten Form des «Evensong» beteiligen sich den Angaben nach auch der Severinschor «Himmel und Ääd» und der Stadtjugendseelsorger Dominik Meiering.