EKD-Vorsitzende Käßmann tritt zurück - Rheinischer Präses Schneider kommissarischer Nachfolger

"Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand"

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, hat ihren Rücktritt erklärt. Die 51-Jährige trat am Mittwochnachmittag vom Amt der Ratsvorsitzenden und als hannoversche Landesbischöfin zurück. Die Amtsgeschäfte des Ratsvorsitzenden übernimmt kommissarisch Käßmanns bisheriger Stellvertreter, der rheinische Präses Nikolaus Schneider.

Bischöfin Käßmann und Bischof Schneider: Von den Ereignissen überrumpelt (epd)
Bischöfin Käßmann und Bischof Schneider: Von den Ereignissen überrumpelt / ( epd )


Käßmann erklärte am Mittwoch in Hannover, sie haben einen "schweren Fehler" gemacht, den sie "zutiefst" bereue. Amt und Autorität seien beschädigt. Respekt und Achtung vor ihrer eigenen Person hätten sie zum Rücktritt bewogen. Es gehe ihr auch um die Achtung vor sich selbst und ihre eigene Geradlinigkeit. Es tue ihr leid, dass sie viele enttäusche, die sie dringend gebeten hätten, im Amt zu bleiben, so Käßmann.

"Ich danke allen Menschen, die mich so wunderbar getragen haben", sagte Käßmann. Ausdrücklich bedankte sie sich bei ihren Mitarbeitern, die schon "so manchen Sturm" mit ihr überstanden hätten - aber vor allem bei ihren Kindern: "Ich danke meinen vier Töchtern, die diese Entscheidung mittragen und auch heute hier anwesend sind, was nicht selbstverständlich ist."

Aus der Vergangenheit und anderen Schicksalsschlägen wisse sie: "Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand." Nach eigenen Worten will sie weiter als Pastorin tätig sein.


Die kurze  Karriere der ersten EKD-Ratsvorsitzenden

Ein Fehlverhalten, das wohl manchem passieren kann, führte zum Ende der kurzen Karriere von Margot Käßmann als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Zu schwer wog nach reiflicher Abwägung bei der Bischöfin und ihren Ratgebern die Sorge, dass durch eine Autofahrt unter Alkoholeinfluss ihr Ansehen und ihre Glaubwürdigkeit schaden nehmen würden. Nach gut drei Monaten gibt sie das Spitzenamt der 25 Millionen deutschen Protestanten und auch den Posten als Bischöfin der hannoverschen Landeskirche zurück, den sie seit mehr als zehn Jahren innehatte.

Noch am Mittwochmorgen hatte der Rat der EKD nach einer nächtlichen Telefonkonferenz seiner Vorsitzenden einmütig das Vertrauen ausgesprochen. Wie es weitergeht nach Käßmanns Rücktritt dürfte das Treffen der Ratsmitglieder im bayerischen Tutzing bestimmen, das ohnehin für Freitag und Samstag angesetzt ist.

Führungslos ist die evangelische Kirche allerdings nicht: Bei einem vorzeitigen Ausscheiden eines Ratsvorsitzenden, so ist es geregelt, übernimmt der Stellvertreter den Vorsitz bis zu einer Neuwahl. Damit rückt der rheinische Präses Nikolaus Schneider (61) zunächst an die EKD-Spitze. Eine Nachwahl erfolgt durch die Synode, das Kirchenparlament, und die Vertretung der Landeskirchen. Deren nächste reguläre Tagung ist für November in Hannover angesetzt. Aber auch eine vorgezogene außerordentliche Sitzung ist denkbar.

Erst Ende Oktober war die 51jährige Bischöfin, die schon zehn Jahre an der Spitze der hannoverschen Landeskirche stand, als erste Frau zur Ratsvorsitzenden der EKD gewählt worden. In dem Spitzenamt löste sie den Berliner Bischof Wolfgang Huber (67) ab, der aus Altersgründen ausschied. Das Gespann von zwei Frauen - Käßmann und Katrin Göring-Eckardt als Präses der EKD-Synode - versprach frischen Wind und neuen Stil.

In ihrer kurzen Amtszeit hielt Käßmann alle auf Trab. Und nicht nur die eigene Kirche, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Empfang für die neue EKD-Spitze vorausgesagt hatte. 83 Interviews, so notierten Beobachter, habe Käßmann in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit gegeben. Babyklappen, Pflege, Armut, Sterbehilfe, Hartz-IV - gerade in diesen sehr lebenspraktischen Themen bezog die profilierte Protestantin Position.

Die politische Debatte mischte die temperamentvolle Theologin durch zugespitzte Wortmeldungen auf. "Nichts ist gut in Afghanistan", sagte Käßmann an Neujahr in der Dresdner Frauenkirche und stieß damit eine Debatte über den Bundeswehr-Einsatz am Hindukusch an. Mit ihrem Einspruch gegen ein "Weiter so" in Afghanistan erfuhr sie heftigen Widerspruch aus unterschiedlichen politischen Lagern. Doch die evangelischen Bischofskollegen scharten sich um die attackierte Käßmann und gaben ihr Rückendeckung.

Für die Forderung, dem zivilen Engagement Vorrang vor militärischer Gewalt einzuräumen, gab es viel Zuspruch beim Kirchenvolk, aber auch von Kirchenfernen für die Bischöfin. Denn Käßmann ist populär. Ihren unverblümten und mitunter politisch nicht ausgewogenen Wortmeldungen finden große Wertschätzung an der Kirchenbasis. Ihr jüngstes Buch "In der Mitte des Lebens", in dem Käßmann sehr viel von sich selbst preisgibt, kletterte rasch in die Bestseller-Listen.

Persönliche Integrität, authentisches Auftreten, Emotionalität und Spiritualität gelten als ihre Stärken, mit ihren Beiträgen und Ratschlägen findet die Theologin und Seelsorgerin Gehör in Kreisen, denen die Wortmeldungen Vorgängers Wolfgang Huber zu akademisch geprägt erschienen. Ein Beispiel ist Käßmanns Predigt in der ökumenischen Andacht nach der Selbsttötung des Fußball-Nationaltorwarts Robert Enke in Hannover.

Es gab auch manche kirchendiplomatische Aufreger in der kurzen Amtszeit. Enttäuschung rief die Ratsvorsitzende in Rom hervor mit ihrer Aussage, sie erwarte von Papst Benedikt XVI. ökumenisch nichts. Das Urteil wird zwar von vielen Ökumene-Kennern geteilt. Dass sie es aber ausgerechnet im Talk mit Gregor Gysi von der Linkspartei äußerte, erschien in Kirchenkreisen als nicht besonders geschickt.

Der vatikanische Ökumene-Minister Walter Kasper reagierte prompt verärgert. Die Papst-Kritik sei "unfair", "ungerecht" und "zutiefst unökumenisch", rügte der Kurienkardinal. Käßmann sah sich gehalten, weiterer ökumenischer Verstimmung vorzubeugen. Ihr sei nicht an einem Streit mit der katholischen Kirche gelegen, versicherte sie. Sie hatte ganz bewusst bei Robert Zollitsch, dem Vorsitzenden der katholischen Bischöfe, ihren ersten Antrittsbesuch, gemacht.

Zuvor hatte die Russische Orthodoxe Kirche der Spitzenfrau des deutschen Protestantismus die kalte Schulter gezeigt. Das Moskauer Patriarchat setzte den offiziellen Dialog mit der EKD aus. Die orthodoxe Kirche lehne eine Frau an der Spitze der EKD als Gesprächspartnerin ab, hieß es zur Begründung. Patriarch Kyrill I. legte vor wenigen Tag nach und hielt der evangelischen Kirche Mitschuld am Werteverfall vor.

Margot Käßmann ist nun nicht über politische Kontroversen oder ökumenische Verwicklungen gestolpert. Eine durch und durch menschliche Schwäche setzte ihrer steilen Karriere einen Schlusspunkt. Vorläufig zumindest - denn ob sie sich nach dem Doppelrücktritt ganz aus der Öffentlichkeit zurückzieht, wird abzuwarten sein.