Präses Schneider zu den Ergebnissen des Wirtschaftsforums in Davos

"Leute, wir reden hier über Menschen!"

"Neu denken, neu gestalten, neu schaffen", war das Motto des diesjährigen Wirtschaftsforums in Davos, zu dem sich Spitzenvertreter aus Politik und Wirtschaft in dem Schweizer Luftkurort trafen. Ein Teilnehmer der Parallelveranstaltung "Open Forum", Präses Nikolaus Schneider, der stellvertretende Vorsitzende des Rates der evangelischen Kirche in Deutschland, fordert im domradio-Interview, den Menschen wieder in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen.

 (DR)

domradio: Es heißt ja, die Stimmung auf dem 40. Weltwirtschaftforum sei sehr gedämpft. Haben Sie das auch so erlebt?
Schneider: Ich würde die Stimmung eher als nachdenklich bezeichnen. Es werden nicht mehr mit dem Brustton der Überzeugung Ansagen gemacht, wie nun Wirtschaften sein muss, sondern es wird gefragt, was ist schief gelaufen, woran lag das und welche Neuausrichtungen sind möglich. Man merkte sehr deutlich bei diesem Open Forum, dass ja eine Veranstaltung des schweizerisch-evangelischen Kirchenbundes (SEK) zusammen mit dem Träger des Wirtschaftgipfels ist, dass alle Veranstaltungen auf Nachdenklichkeit angelegt sind.

domradio: Sie waren dabei auf der Podiumsdiskussion des Open Forums. Was wollten Sie da angesichts der Finanzkrise dem Publikum vermitteln?
Schneider: Das war ein sehr interessantes Forum. Da waren fünf Leute: zwei Banker, die französische Finanzministerin, Professor Stieglitz, ein Nobelpreisträger in Ökonomie und Wirtschaftsberater von Ex-Präsident Clinton und der Chef der IDO, der Internationalen Arbeitsorganisation aus Genf und ich. Im Grunde hatten wir zwei Fraktionen. Die eine Fraktion diskutierte stärker auf der technischen Ebene: Was muss man ändern, damit so was nicht noch mal passiert? Sie war allerdings auch sehr kritisch gegenüber der Bankenwelt und dem Versagen der Bankenwelt und den Vertretern der Wirtschaftorganisationen. Wir - die zweite Fraktion - haben immer versucht deutlich zu machen: "Leute, wir reden hier über Menschen! Es geht um das Wohlergehen von Menschen und bevor Ihr über die Technik des Ganzen redet, macht Euch doch mal klar, wie viele Menschen werden arbeitslos, was bedeutet das für die Menschen, wie sieht das aus mit der Benachteiligung, wie sieht das aus mit ganz vielen Menschen, die überhaupt an der Entwicklung keinen Anteil nehmen können?"

Wir haben also versucht, diese grundsätzliche menschliche Perspektive dort hinein zu bringen. Und ich sag das jetzt mal theologisch, ich wollte immer deutlich machen: Wirtschaft muss den Menschen dienen, weil die Schöpfung uns anvertraut ist und der Mensch ein Ebenbild Gottes ist und seine Würde vor allem stehen muss. Seine Würde vorrangig ist auch vor dem besten Wirtschaftsystem.

domradio: Hatten Sie den Eindruck, dass Ihre Argumente, die christlich-ethisch geprägt sind, bei den Wirtschafts- und Bankenvertretern auf offene Ohren gestoßen sind?

Schneider: Doch, da war eine Bereitschaft zu hören. Aber es war ein bisschen eigenartig: Wir haben uns ab und zu eingeschaltet, wir zwei, sozusagen vom linken Flügel, dann hörten die das sehr interessiert, nickten und machten dann mit ihrer Fachdiskussion so weiter. Das war ein bisschen schwierig. Aber was interessant war, nachher wurde das geöffnet, die Leute die da waren, konnten mitdiskutieren und die waren im wesentlichen an den Fragen interessiert, die wir eingebracht hatten. Also das war sehr interessant, man merkte: Die Menschen haben das sehr sensibel wahrgenommen und fanden das gut und richtig.

domradio: Gab es vorher in der Diskussion auch Momente, wo es gekracht hat zwischen Ihren beiden Fraktionen?

Schneider: Also, so richtig Zoff gab's nicht. Die beiden Bankenvertreter sagten, sehr zurückhaltend: "Achtung, jetzt überreguliert es nicht." Aber dieser Versuch, Freiräume für das eigenverantwortliche Handeln zu garantieren, war interessant. Professor Stieglitz sagte: „Dass Ihr zur Eigenregulation nicht fähig seid, habt Ihr  ja bewiesen. Wir reden jetzt über ein anderes Thema!" Die Finanzministerin sagte: "Das muss in der Tat ausgeglichen sein, wir wollen Euch auch nicht die Luft zum Atmen nehmen". Und einer der Banker sagte zum Schluss, das Hauptproblem sei die Ungleichheit von Einkommen und Besitz und da müsste man einiges tun - da wären wir wieder bei dem Regulierungsproblem. Also die haben das unter sich schon sehr kritisch aufgenommen. Aber wir haben das natürlich auch verstärkt. Es war in sofern kein richtiges Krachen.

domradio: Welche Anregungen haben Sie denn dann aus der Diskussion um eine neue Weltwirtschaftordnung für sich mitgenommen?
Schneider: Ich glaube, es hat sich als richtig erwiesen, dass wir gesagt haben, Ausgangspunkt muss die Würde des Menschen bleiben. Wirtschaften hat keinen Eigenwert, hat keinen Sinn in sich, und sobald das Wirtschaften und auch das Finanzwirtschaften diesen Sinn verliert, wird es zur Idiolatrie - mit verheerenden Konsequenzen.

Zweiter Punkt ist: Die Finanzwirtschaft muss bezogen bleiben auf die Realwirtschaft, sie darf sich nicht davon abkoppeln. Denn dann entstehen diese Elemente, dass es ein Kreisen um sich selber wird. Dritter Punkt: Bei allen ökonomischen Veränderungsnotwendigkeiten darf man nicht gegeneinander ausspielen, das, was es an internationaler Regulierung geben muss, und das, was es an nationalstaatlicher Regulierung geben kann, sondern, das muss in der Tat so Hand in Hand gehen. Und letzter Punkt: Es ist nötig, auch die einzelnen Verantwortlichen in der Wirtschaft und Politik sehr zu schätzen, also sie nicht zu Sündenböcken zu machen, aber sie zu ermutigen, ihrer Verantwortung wirklich im Interesse der Menschen, hier der Kleinen, der Armen, der Benachteiligten wahrzunehmen, und sie auch als Persönlichkeiten zu begleiten und zu stützen.

domradio: Sie haben ja vorhin erklärt, dieses Open Forum ist ja eine Alternativveranstaltung zum Weltwirtschaftforum in Davos. Wie bewerten Sie denn das Weltwirtschafforum selbst? Glauben Sie, dass das was bewegen kann?
Schneider: Nicht im Sinne, dass sofort konkrete Politik daraus folgt, aber schon in dem Sinne, dass die Macht und Geld-Eliten dieser Welt in's Nachdenken kommen. Also, diese Nachdenklichkeit war wirklich mit Händen zu greifen. Ich habe mehrere Berichte in Davos gesehen, etwa wie über Haiti diskutiert wurde, da merkte man, die Menschen haben begriffen, worum es da geht. Und machen sich ernsthafte Gedanken, wie man da nachdrücklich helfen kann. Also diese Nachdenklichkeit, die ist wirklich da.