Vor 20 Jahren wurden in San Salvador sechs Jesuiten ermordet

"Hier sollte Geist getötet werden"

Zwanzig Jahre ist es her, dass in El Salvador sechs Jesuiten ermordet wurden. Insgesamt acht Menschen kamen am 16. November 1989 ums Leben. Die Jesuiten auf der ganzen Welt gedenken des Verbrechens. Nun könnten die Täter und Planer des grausamen Mordes zur Verantwortung gezogen werden. Denn das mittelamerikanische Land hat seit Juni eine neue Regierung. Ein Blick zurück.

Autor/in:
Gaby Herzog
1989: Beerdigung der sechs Ermordeten Jesuiten (KNA)
1989: Beerdigung der sechs Ermordeten Jesuiten / ( KNA )

Schwester Aurora Flores will sich nicht schonen. Langsam blättert sie das Fotoalbum durch, das vor ihr auf dem Tisch
liegt: Bis zur Unkenntlichkeit zerfetzte Gesichter in Nahaufnahme sind da zu sehen; überall Blut. Die Ordensfrau blickt aus dem Fenster in den Garten der UCA, der Universidad Centroamericana von San Salvador: Hier sind vor 20 Jahren, im Morgengrauen des 16. November 1989, diese grauenvollen Bilder entstanden. Sechs Jesuiten, die an der Uni lehrten, deren Köchin und ihre Tochter wurden von der Armee hingerichtet.

Wo ihre Leichen lagen, blühen heute Rosen. Der Garten ist längst zur Pilgerstätte geworden. Wie der regimekritische Erzbischof Oscar Romero, der knapp zehn Jahre zuvor ermordet worden war, sind die Jesuiten zu Märtyrern geworden und werden vor allem von der armen Bevölkerung verehrt.

Es war die Hochphase des Bürgerkriegs, in dem die Militärregierung gegen die linke Guerilla kämpfte und in der sich Ignacio Ellacuria, der Rektor der Universität, und seine Kollegen immer wieder zu Wort meldeten. Sie publizierten über die Armut und die Repression der Bevölkerung, über Wahlbetrug und notwendige Agrarreformen, sie forderten die Einhaltung von Menschenrechten und prangerten die Militärhilfe der USA an, die im Ost-West-Konflikt auch in El Salvador einen Stellvertreterkrieg führten und die Armee unterstützten.

«Die aus den Schädeln gequollene Hirnmasse der Ermordeten war ein Symbol: Hier sollte Geist getötet werden», sagt der deutsche Jesuitenpater Martin Maier, der nach den Morden als einer der ersten den Tatort besuchte. Zunächst versuchten Armee und Militärführung, die Guerilla für die Bluttat verantwortlich zu machen, doch das Lügengebäude fiel schnell in sich zusammen. «Es kam heraus, dass auch US-Militärberater von der Planung des Verbrechens wussten und nicht gegensteuerten», so Maier.

Weltweit war die Empörung groß. Der Druck auf die US-Regierung wuchs, so dass diese ihre El-Salvador-Politik änderte. Die salvadorianische Armee geriet in die Defensive. Regierung und Guerilla trafen sich am Verhandlungstisch, im Januar 1992 wurde ein Friedensvertrag unterzeichnet. «Die Verbrechen des Krieges wurden jedoch nie wirklich aufgearbeitet, beklagt Julia Stabentheiner vom deutschen Hilfswerk Adveniat. "Es gab eine Generalamnestie - und bis heute geht die Gewalt weiter."

Täglich werden in El Salvador etwa ein Dutzend Menschen ermordet. Nur zehn Prozent der Verbrechen werden überhaupt polizeilich aufgenommen. Jugendbanden versetzen die Städte in Angst und Schrecken. Entführungen mit Lösegelderpressung und politisch motivierte Auftragsmorde gehören zur Tagesordnung. 21.000 Angestellte privater Sicherheitsdienste patrouillieren in den Straßen; die Polizei hat nur 17.000 Einsatzkräfte. «Wenn man morgens aus dem Haus geht, weiß man nie, ob man abends wiederkommt», sagt der Student Jose Enrique Suarez. Man sagt, ein Auftragsmord koste 50 US-Dollar. «Und man weiß ja nie, wem man aus Versehen auf die Füße getreten ist.»

Suarez wird an der Nachtwache für die Jesuiten und die beiden Frauen an der Universität teilnehmen. «Die UCA ist immer noch ein Zentrum der Menschenrechts- und Friedensarbeit», so Julia Stabentheiner, die selbst in San Salvador studiert hat. «Nach den Morden sind Jesuiten aus allen Teilen der Welt gekommen und haben die Arbeit ihrer ermordeten Brüder weitergeführt.»

Große Hoffnungen setzen viele Salvadorianer in die neue Regierung von Präsident Mauricio Funes. Mit ihm hat erstmals die FMLN, die Partei der ehemaligen Guerilla, die Macht übernommen. Vor wenigen Tagen ließ sich Funes' Ehefrau Vanda Pignato durch die UCA führen, besuchte den Rosengarten und die Gräber der Ermordeten. Funes will den Mordfall Romero und das Massaker an den Jesuiten neu aufrollen, erklärt er. «Das wäre ein Anfang», findet Suarez. «Aber sie stehen nur stellvertretend für die Tausenden Namenlosen, die der Gewalt zum Opfer gefallen sind. Solange diese Verbrechen ungesühnt bleiben, wird es in El Salvador keinen echten Frieden geben.»