Paderborner Ökumene-Experte zur Öffnung der Kirche für Anglikaner

"Kein unlauteres Abwerben"

Der Vatikan will Anglikanern den Beitritt zur Katholischen Kirche erleichtern. Angehörige der Church of England sollen dort eine neue Heimat finden und sogar Teile ihres liturgischen Erbes behalten. Prof. Dr. Wolfgang Thönissen, leitender Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn, erläutert im domradio-Interview die Hintergründe und möglichen Folgen dieser Entwicklung.

Anglikaner und Katholiken: Keine feindliche Übernahme (DR)
Anglikaner und Katholiken: Keine feindliche Übernahme / ( DR )

domradio.de: Warum streben offensichtlich so viele Anglikaner zur Katholischen Kirche - was sind die Gründe?
Thönissen: Wir haben es hier ähnlich wie bei der römisch-katholischen Kirche mit einer über der ganzen Welt verstreuten Kirche zu tun. Für die Anglikanische Kirche gilt aber, anders als für die römisch-katholische Kirche, dass sie durch einen extremen Pluralismus der Praxis und des Lebens der Kirche selbst geprägt ist. Dazu kommt ein zunehmender Säkularismus der Anglikanischen Kirche in Europa und vor allen Dingen in Nordamerika. Vor diesem Hintergrund spielt jetzt die Ordination von Frauen und eines bekennenden Mannes zum Bischof eine herrausragende Rolle. Hier hat sich Widerstand innerhalb der anglikanischen Kirchengemeinschaft selber gebildet und viele haben vor diesem Hintergrund gesagt, dass sie die Gemeinschaft mit der Anglikanischen Kirche nicht mehr aufrecht erhalten wollen.

domradio: Der Vatikan will die angekündigte neue Kirchenstruktur nicht als offensives Abwerben verstehen, obwohl es erstmalig eine Kirche der Reformation betrifft -  wie kann er sich diesem Verdacht entziehen?
Thönissen: Dadurch, dass man einen solchen Schritt nicht  einseitig vollzieht, sondern die Anglikanischen Kirche über diesen Schritt zunähst informiert, und das ist ja auch geschehen. Es hat wohl mehrere Gespräche gegeben zwischen dem Präfekten der Glaubenskongregation mit dem Primas der Anglikaner. Auch gab es Gespräche mit dem Erzbischof von London. Die Anglikanische Kirche weiß also genau, was die Katholische Kirche vor hat. Und das ist ein erster Schritt, der die guten ökumenischen Kontakte zwischen beiden Kirchen zeigt. Es geht also nicht um unlauteres Abwerben, sondern darum, den Gläubigen in der Not entgegenzukommen.

domradio: In sogenannten Personal-Ordinariaten - analog den Militär-Ordinariaten -  sollen anglikanische Priester und Laien künftig eine geistliche Heimat finden. Wie muss man sich das Verfahren dann konkret vorstellen, müssen z. B. die Priester neu geweiht werden?
Thönissen: Ja. Priester müssen neu geweiht werden, dahinter steckt die Entscheidung von Papst Leo XIII. von 1896, dass die anglikanischen Weihen insgesamt ungültig sind. Diese Festlegung gilt nach wie vor. Deswegen müssen anglikanische Priester, die konvertieren, neu geweiht werden.

domradio: Eine "Rückkehr-Ökumene" lehnen die Kirchen der Reformation ab - mit Blick auf die Bemühungen um Annäherung weltweit: Welche Auswirkungen hat die Ankündigung des Vatikans auf die Ökumene - wird sich das Klima dadurch erheblich verändern?
Thönissen:  Ich sehe da nur Auswirkungen innerhalb des Verhältnisses der katholischen zur anglikanischen Kirche. Da wird man aber abwarten müssen, ob es eine Massenbewegung wird, oder nur einzelne Gemeinden betrifft, die das Angebot annehmen. Die Anglikanische Kirche geht nicht von einer Massenbewegung aus.

Wir können aber nicht ausschließen, dass auch im hochkirchlich-lutherischen Bereich Gemeinden da sind, die den Wunsch haben, in eine engere Gemeinschaft mit der Kirche von Rom zu treten. Da ist die Frage, ob man hier auch von Rom aus entgegen kommt. Offen sind die Auswirkungen auf das gesamte ökumenische Klima. Klar sein muss: Ökumene heißt in erster Linie nicht Rückkehr, aber Respekt vor den Entscheidungen jedes Einzelnen, in die Katholische Kirche eintreten zu wollen. Wir wollen durch den ökumenischen Dialog die theologischen Differenzen abarbeiten, um dabei den Weg zu gehen zur Wiedergewinnung der Gemeinschaft der Kirche von Rom und den anderen kirchlichen Gemeinschaften. Das heißt nicht Rückkehr.