Vor 100 Jahren wurde die Schriftstellerin Hilde Domin in Köln geboren

"Dem Wunder die Hand hinhalten"

"Ich gehe vorüber. Aber im Vorbeigehen zünde ich die eine oder andere Laterne an, - in den Herzen am Wegesrand." Diese Gedichtzeilen schrieb Hilde Domin kurz vor ihrem Tod. Und fasste damit den vielleicht zentralen Aspekt ihres Werkes zusammen. Heute jährt sich der Geburtstag der Lyrikerin zum 100. Mal.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

Dass sie am 27. Juli 1909 auf die Welt gekommen war, bestätigte die gebürtige Kölnerin erst zum 90. Geburtstag. Bis dahin galt 1912 als ihr Geburtsjahr. Dieses "offizielle" Lebensalter wählte Domin eigenen Angaben zufolge, weil sie bei der Veröffentlichung ihrer ersten Werke jünger als 50 sein wollte. In diesem Zusammenhang sprach sie bisweilen von einer weiteren "Geburt" - nämlich jener Zeit in den 1950er Jahren, als sie nach der Flucht vor den Nationalsozialisten und einer Odyssee durch die halbe Welt mit der Rückkehr in ihre Heimat zur Schriftstellerei kam. Hier lag für die Dichterin der Beginn ihres "zweiten Lebens". Die Anspannung dieser Jahre schenkte ihr eine beglückende sprachliche Kraft.

Domin überlebte mit ihrem Mann, dem 1988 gestorbenen Kunsthistoriker Erwin Walter Palm, im Exil den Nationalsozialismus: erst in Italien, dann in England und schließlich in der Dominikanischen Republik, von der sie ihren Künstlernamen ableitete. Erst 1954 kehrte sie nach Deutschland zurück und lebte seitdem in Heidelberg. "Ich durfte und konnte in diese Heimat zurückkommen. Das war ein Akt von Vertrauen", sagt sie. Die Sprache wurde zur Heimat, die das Land ihr lange nicht bieten konnte.

"Die jüdische Existenz wurde mein Schicksal"
Das Exil-Dasein teilte Domin mit zahlreichen Autoren. Auch die Distanz zur jüdischen Herkunft. "Die jüdische Existenz wurde mein Schicksal. Man wurde wegen des Judentums verfolgt, diese Herkunft hat mich ins Exil gebracht", sagte sie. Domin wuchs in einer jüdischen Familie auf, die Glauben und Tradition nicht mehr pflegte, sondern Weihnachten und Ostern feierte. Immer wieder klingen in ihren Gedichten jüdisch-christliche Motive an, ein roter Faden sind sie nicht. Eher geht es allgemein um die Grundnöte der Menschen, um Hoffnung auf eine andere Welt, um Liebe und Sehnsucht und Verzweiflung, um den Glauben an das Gute. Dabei ist das "Dennoch" der Begriff für Hilde Domins Zuversicht. "Der Baum blüht trotzdem" heißt der Titel einer Gedichtsammlung.

Noch bis ins hohe Alter reiste Domin, feingliedrig und zerbrechlich, durch Deutschland, um mit Schulklassen zu sprechen und vor Erwachsenen zu lesen. Ihre Augen leuchteten stets jugendlich, und sie erzählte mit Humor, Charme und Interesse. Und wohl niemand sonst konnte so galant wie die betagte Dichterin an der Grillbude neben dem Heidelberger Schloss die Pommes mit den Fingern essen.

Verse voller Hoffnung und Ermutigung
Einige Monate vor ihrem plötzlichen Tod - Hilde Domin stürzte am 22.
Februar 2006 auf der Straße und starb noch am gleichen Tag nach einer Operation - verlieh der Botschafter der Dominikanischen Republik der Literatin die höchste Auszeichnung seines Landes. Dabei verwies er auf die Wahl des Künstlernamens: Es gebe keine großmütigere Form, die Verbindung zwischen beiden Ländern auszudrücken. Domin erwiderte, nur dank der Großzügigkeit des Karibikstaates habe sie die Gräuel der Nazi-Zeit überlebt. Andere Länder hätten von Flüchtlingen aus Europa tausende Dollar verlangt, die sie und ihr Mann nie hätten zahlen können.

Bei der Trauerfeier dankte Bundesbildungsministerin Annette Schavan
(CDU) Domin für ihren "bedeutenden Beitrag zum kulturellen Leben" in Deutschland. Ihr "Abel, steh auf" sei das wohl meistgelesene Gedicht der vergangenen Jahrzehnte. Auch Bundespräsident Horst Köhler und der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, würdigten ihr Lebenswerk. "Mit leichter Hand schrieb Hilde Domin Verse voller Hoffnung und Ermutigung", erinnerte das Staatsoberhaupt. Und Lehmann betonte in einem Kondolenzschreiben, die "einzigartige Dichterin" habe den Menschen vor allem eines geschenkt: eine wunderbare, leise und doch eindringliche Sprache.