Die katholische Universität analysiert Lehrschreiben des Papstes

"Keine Krisen-Enzyklika"

Gerade einen Tag ist die Sozialenzyklika auf dem Markt, da lädt die Katholische Universität (KU) zum öffentlichen Diskurs über das päpstliche Lehrschreiben nach Ingolstadt. Professoren der Wirtschaftswissenschaft nehmen den Text eines Ehrendoktors ihrer Hochschule unter die Lupe, also Experten aus jener Fakultät, die bisher zwar durch exzellente Platzierungen in diversen Rankings von sich reden machte, deren Beitrag zur erwünschten Schärfung des katholischen Profils der Uni bisher aber nicht recht erkennbar war.

 (DR)

Über Nacht haben der Wirtschaftsethiker Jörg Althammer, der Sozialethiker Andre Habisch und der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Frank Zschaler die Enzyklika studiert, vom ersten bis zum letzten Satz. Ihr Urteil fällt euphorisch aus: «Fulminant» sei der Text, «bahnbrechend», «epochal». Kritisch äußern sie sich hingegen über negative Stimmen in den deutschen Medien. Althammer vermutet falsche und überzogene Erwartungen im Hintergrund. «Es ist keine Krisen-Enzyklika», sagt er. Und auch kein Lehrbuch und keine Dissertation.

Vielmehr greife das Dokument wirtschaftliche und politische Probleme auf und reflektiere sie vor dem Hintergrund des christlichen Menschenbilds. Als einen der größten Fortschritte bezeichnet Althammer den Umgang mit der Globalisierung, für den Papst ein ebenso unumkehrbarer wie ambivalenter Prozess. «Globalisierung ist für ihn eine Chance, sofern sie unter paritätischen Bedingungen erfolgt.» In ungeregelter Form jedoch gerate das Soziale ins Rutschen. Das dürfe nicht passieren. Gewinnstreben, Markt und Wettbewerb seien Instrumente, die von der Politik klug eingesetzt werden könnten, und kein Selbstzweck.

Als «Meilenstein» würdigt Habisch vor allem das Plädoyer von Benedikt XVI., jedes wirtschaftliche Handeln konsequent am Gemeinwohl auszurichten. Dabei habe der Papst alle Marktakteure im Blick, nicht nur die Unternehmer, sondern auch die Konsumenten. Seine Überlegungen zu einer Verbraucherethik seien «sehr avantgardistisch», meint der Professor für christliche Sozialethik.
Zugleich betone er die Verantwortung der Politik, ergänzt Althammer. Nur mit politischen Vorgaben könnten Märkte auch funktionieren.

Zudem habe der Papst explizit darauf verwiesen, dass sich soziale Standards nicht technokratisch sichern ließen. Genauso wenig könnten die Probleme auf den Finanzmärkten nur institutionell oder politisch gelöst werden. Ethik sei überall vonnöten. Damit sei das Kirchenoberhaupt auf dem Stand der Forschung, sind sich die Wissenschaftler einig.

Neuere empirische Studien hätten etwa belegt, dass Massenentlassungen sich entgegen der bisherigen Annahme langfristig meist negativ auf den Aktienkurs des Unternehmens auswirkten. Sie drückten nämlich auch auf die Motivation und damit Produktivität der verbliebenen Arbeitnehmer. «Der menschliche Preis hat immer auch einen wirtschaftlichen», sagt Habisch. Benedikt XVI. erhebe mit seiner Enzyklika den Anspruch, «nicht ein Bremsklotz zu sein, sondern ein Stück weit im Führerhaus mitzufahren».

Entgegen mancher Einschätzung hat Althammer bei seiner Exegese des Lehrschreibens auch konkrete Handlungsanweisungen ausfindig gemacht. So sei der Papst etwa für die Einschränkung oder gar Aufhebung solcher Patente, die den medizinisch-technischen Fortschritt in den Entwicklungsländern blockierten. Benedikt XVI. votiere für eine vorurteilsfreie Bewertung der Gentechnik in der Landwirtschaft und mahne die weltweite Öffnung der Agrarmärkte an - dies sei «einiges an Sprengstoff für die G-8».