Entwicklungsexperte zur noch immer angespannten Lage in Haiti

"Die Menschen hungern weiterhin"

Im April sorgten Hungerrevolten auf Haiti in Folge der weltweit steigenden Nahrungsmittelpreise für neue Unruhen und politische Destabilisierung. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Reis, Mais und Bohnen waren geradezu explodiert. Sechs Menschen kamen ums Leben, Hunderte wurden verletzt. Und die Lage bleibt angespannt.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Als Christoph Kolumbus 1492 auf Haiti landete, glaubte er, das Paradies auf Erden entdeckt zu haben. Doch die "Perle der Karibik" glänzt schon lange nicht mehr. Jahrzehnte der Diktatur und der politischen Wirren suchten Haiti ebenso heim wie Tropenstürme und Flutkatastrophen, die in den vergangenen Jahren Tausende von Todesopfern gefordert haben. Verringert haben sich dadurch auch die landwirtschaftlichen Anbauflächen. Eine fatale Entwicklung für die Versorgungslage eines Landes, in dem sich seit den 50er Jahren die Bevölkerung auf 8,5 Millionen nahezu verdreifacht hat.

"Die Lage bleibt angespannt. Zwar ist Ruhe eingekehrt, doch große Teile der Bevölkerung, vor allem in den Städten, hungern weiter", berichtete am Freitag der Agrarökologe Kurt Habermeier vom Bischöflichen Hilfswerk Misereor in Aachen. "Die Menschen warten ab." Seit zehn Jahren betreut der 60-Jährige Entwicklungsprojekte auf der Insel, die zu den ärmsten Ländern der Welt zählt. Mehr als 70 Prozent der Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze.

Das krisengeschüttelte Land ist inzwischen in hohem Maße von Lebensmitteleinfuhren abhängig und damit anfällig für die gegenwärtigen Preissteigerungen. "Bis Mitte der 50er Jahre hat sich Haiti selbst versorgt und auch noch für den Export produziert", weiß Habermeier. Mittlerweile werden höchstens 40 Prozent des Eigenbedarfs im Land hergestellt, was auch mit dem Import hochsubventionierter Güter aus den Industrieländern zu tun habe. Alleine die jährliche Reiseinfuhr Haitis beläuft sich derzeit auf 800 Millionen US-Dollar.

Neue Abhängigkeiten
Vor diesem Hintergrund hält es der Agrarökologe für richtig, wenn Haitis Präsident Rene Preval wieder auf Selbstversorgung setzt und die nationale Produktion ankurbeln will. Dafür braucht es allerdings langen Atem. Und Habermaier hat Zweifel, ob die Regierung den richtigen Kurs einschlägt. "Schon wird wieder der Import von teurem Kunstdünger gefordert", kritisiert der Entwicklungsexperte. "Doch das schafft nur neue Abhängigkeiten."

Misereor setzt schon seit Jahren auf den Ausbau einer kleinbäuerlichen und ökologischen Landwirtschaft - mit Blick auf den ökologischen Raubbau, den die Insel in den vergangenen Jahrzehnten erlitt, eine einsichtige Forderung. Um 1900 hatte das Land etwa eine Million Einwohner und 50 Prozent Waldfläche. 1990 kamen auf acht Millionen Menschen weniger als zwei Prozent Wald. Überweidung, Abbrennen der Vegetation und ungebremste Entwaldung haben laut einer Misereor-Studie zu einem beispiellosen ökologischen Desaster geführt.

"Die Umwelt der Insel muss langfristig geschützt und die ländliche Infrastruktur verbessert werden," fordert Habermeier. Außerdem seien eine Bodenreform zur Verteilung des Landes und Rechtssicherheit
nötig: Die Bauern müssten sicher sein, dass sich ihre Investitionen auch auszahlten. Mehrere katholische Diözesen Haitis haben mit Hilfe von Misereor landwirtschaftliche Entwicklungsprojekte aufgelegt: Es geht um optimale Nutzung der ursprünglichen Artenvielfalt und eine nachhaltige Forstwirtschaft. Durch einen Anbau von Pflanzen "in mehreren Stockwerken" seien Ernten das ganze Jahr über möglich, beschreibt der Agrar-Experte einen Ausweg aus der Nahrungsmittelkrise. Bauern frieden ihr Land mit Hecken ein, um die Gärten vor trockenen Winden zu schützen. Bäume und andere Pflanzen bewahren den Boden vor Erosion, verbessern seine Qualität und liefern Brennholz und Viehfutter.