Schavan erwartet Entscheidung im Stammzellstreit noch vor März - Huber spricht von "ethischer Gratwanderung"

Gewissensentscheidung oder Fraktionszwang?

Im Streit um die embryonale Stammzellforschung rechnet Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) noch vor der Osterpause Mitte März 2008 mit einer Entscheidung des Bundestags. "Das ist eine Gewissensentscheidung der Abgeordneten, die durch keinen Fraktionszwang beeinflusst werden kann - und auch durch keinen Parteitagsbeschluss", sagte Schavan der "Rheinischen Post". Schavan war von der Katholischen Kirche wegen ihres Votums für eine Verschiebung der Stichtagsregelung massiv kritisiert worden. Ihrer Meinung ist dagegen Bischof Huber, Vorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands.

Bundesministerin Annette Schavan: Hier im domradio-Interview (DR)
Bundesministerin Annette Schavan: Hier im domradio-Interview / ( DR )

Die Ministerin beteuerte für den Fall einer Verschiebung des Stichtags für den Import embryonaler Stammzellen: "Es wird nicht mehr embryonale Stammzellforschung in Deutschland geben. Sie bleibt Ausnahme in ganz engen Grenzen, um Vergleichswissen zur Entwicklung ethisch unbedenklicher Alternativmethoden zu haben."

Die Forschergruppe, die vor kurzem einen Durchbruch bei der Nutzung körpereigener Zellen erzielte, habe die dazu notwendigen Steuerungs-Gene an embryonalen Stammzell-Linien identifiziert, sagte Schavan. "Dieser Zusammenhang macht das ethische Dilemma aus, in dem wir stecken." Mit Blick auf die scharfe Kritik katholischer Bischöfe an ihrer Haltung sagte Schavan: "Gerade weil ich katholische Theologin bin, ist für mich diese Entscheidung besonders schwer." Nun wolle sie zwischen den Lagern vermitteln.

Energisch wies sie Vorwürfe zurück, das Forschungsministerium bevorzuge die embryonale Stammzellforschung. "Das ist eindeutig falsch. 97 Prozent aller Forschungsförderung in Deutschland fließen seit dem Jahr 2000 in die adulte Stammzellforschung. Es hat nie einen Schwerpunkt bei der embryonalen Stammzellforschung gegeben", sagte Schavan. "Im Gegenteil. Ich habe neue Forschungsschwerpunkte gesetzt, die ausschließlich im Bereich der Alternativen liegen."

Bischof Huber: Stammzellforschung bleibt ethische Gratwanderung  In der Debatte über eine Lockerung des Stammzellgesetzes hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, eine einmalige Verschiebung des Stichtages befürwortet. In einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" unterstützte Bischof Huber damit die Position von Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU), die dafür massiver Kritik aus der katholischen Kirche ausgesetzt ist.

"Wenn es stimmt, dass die derzeit verfügbaren Stammzelllinien mit Viren und tierischen Zellen kontaminiert sind und daher für die notwendige Forschung nur begrenzt geeignet sind", könnte eine Stichtags-Verlegung in Kauf genommen werden, so Huber. Dies könnte allerdings nur ein zurückliegender Stichtag sein.

Bisher darf in Deutschland nur mit embryonalen Stammzellen geforscht werden, die aus dem Ausland importiert und vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden. Aus der Wissenschaft gibt es seit längerem Forderungen, diesen Stichtag zu verschieben oder generell zu streichen. Anfang Dezember hatte der CDU-Parteitag mit knapper Mehrheit beschlossen, die Verschiebung dieses Stichtages zu ermöglichen.

Der Vorwurf, damit werde ein Automatismus ständiger Stichtags-Anpassungen ausgelöst, laufe ins Leere, argumentierte der EKD-Ratsvorsitzende. Denn darüber entscheide der Gesetzgeber. "Wer aber eine Verschiebung des Stichtags schlechterdings ablehnt, muss sich fragen lassen, wie die Forschung mit adulten Stammzellen überhaupt vorankommen kann", so Huber. Adulte Stammzellen, die etwa aus Nabelschnurblut gewonnen werden, gelten als ethisch unbedenklich, während für die Verwendung embryonaler Stammzellen in der Forschung menschliche Embryonen getötet werden müssen.

Huber argumentierte weiter, die Forschung mit embryonalen Stammzellen bleibe eine ethische Gratwanderung: "Deshalb befürworte ich sie nur für einen begrenzten Zeitraum." Damit sei die Hoffung verbunden, dass die Forschung bald ohne embryonale Stammzellen auskomme.

Protestanten gespalten
In der evangelischen Kirche gibt es unterschiedliche Positionen zur Stammzellforschung. Eine einmalige Verschiebung des Stichtages sollte nur zulässig sein, wenn die Grundlagenforschung wegen der Verunreinigung der Stammzelllinien nicht fortgeführt werden könne, stellte die EKD-Synode Anfang November fest. In einem Beschluss des Kirchenparlaments heißt es weiter, vorstellbar sei nur eine Verschiebung auf einen bereits zurückliegenden Stichtag. Vorrang sollte Forschung mit adulten Stammzellen haben.

Eine Lockerung des Stammzellgesetzes lehnte hingegen der evangelische Sozialethiker Wilfried Härle ab. Dessen Kompromiss sei nur wegen der Stichtagsregelung akzeptabel, so Härle, der auch Vorsitzender der EKD-Kammer für Öffentliche Verantwortung ist. Eine nachträgliche Verschiebung des Stichtages mache ihn "ethisch wertlos", da sie zum Motiv für die Tötung von Embryonen werden könnte. Wie die katholische Kirche sind auch der württembergische evangelische Landesbischof Frank Otfried July und die Deutsche Evangelische Allianz für eine restriktive Haltung zur Stammzellforschung.

Vor diesem Hintergrund wandte sich der EKD-Ratsvorsitzende gegen einen Kulturkampf in diesem Konflikt, der auch eine konfessionelle Färbung angenommen habe. "Manche katholische Stimme beansprucht, die allein vertretbare christliche Position zu artikulieren", ein generelles Nein zur Forschung mit embryonalen Stammzellen. Dem hielt Huber entgegen, in der evangelischen und katholischen Kirche bestünden unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich kirchlichem Lehramt und der Verantwortung des einzelnen Christen.

Die katholische Ministerin Schavan habe in dem aktuellen Streit die Konsequenzen der katholischen Sicht, wonach sich der einzelne Christ dem Urteil des kirchlichen Lehramtes zu fügen habe, massiv zu spüren bekommen. Der christlichen Gewissensbildung, aus der Schavan zu ihrem Urteil gelangt sei, zolle er seinen ausdrücklichen Respekt, schrieb Huber.

Anders als die katholische nehme die evangelische Kirche bewusst in Kauf, dass es in ethischen Fragen mitunter schwer sei, mit einer Stimme zu sprechen, so Huber. "Dies kann die orientierende Funktion kirchlichen Redens beeinträchtigen. Aber es kann zugleich die Gewissen schärfen." In Fragen der Bioethik wolle der Rat der EKD den Forschern und den Politikern einschärfen, "vorzugswürdige Lösungen" anzustreben.