Morgenimpuls mit Schwester Katharina

"Weltanschauung kommt von Welt anschauen!"

Wir sind im Bus in Richtung Italien gefahren, haben eine Zwischenübernachtung eingelegt und sind dann über die Alpen gedüst. Es ist ein Traum. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich etwas verpasse, wenn ich nicht aus dem Fenster schaue um alles zu sehen: die wundervollen Berge, den Nebel am morgen und die Sonne später, die Flüsse und Bäche und die tobenden Wolken.

Und dabei fiel mir interessanter weise ein, dass ein Slogan der friedlichen Proteste in der DDR hieß: "Weltanschauung kommt von Welt anschauen!" Das kann nur verstehen, wer im abgeschotteten Land leben musste und nur, wenn man genug Geld hatte, in die Länder östlich der DDR fahren konnte, aber immer eingetrichtert bekommen hat, dass die sozialistische Weltanschauung die Beste ist. Das fand ich als reisehungrige Jugendliche irgendwie ein Hohn, weil man sich ja nichts anschauen konnte.

Und jetzt, jetzt können wir reisen, aber schauen wir uns die Welt und die Menschen an oder bleiben wir in einer abgeschotteten Touristenblase ohne Kontakt zur realen Welt unseres Reiselandes? Manche aus meiner Verwandtschaft bleiben mit Vergnügen in ihren perfekten Urlaubsressorts und verlassen es nur für geführte Bustouren. Meine Pilgergruppe ist da anders. Und ich freue mich darüber. Wir schauen jeden Tag ein oder zwei bedeutsame Stätten von Franziskus und Klara an und sie hören und erfahren die Geschichten dazu und sie sind den Rest des Tages damit beschäftigt, die Stadt zu erleben, zu durchstreifen, sich ruhige Plätze zum Verweilen zu suchen, Tagebuch zu führen und sich am Abend darüber auszutauschen, was sie Neues für sich selbst entdeckt haben.

Und sowas geht ja nicht nur auf Reisen. Auch Sie zuhause können heute mal aufmerksam schauen, ob Sie anderes sehen oder hören oder erfahren als an normalen Tagen, ob sie eine Zeit der Stille im Trubel Ihres Alltags finden, in dem sie ihren Herzschlag zur Ruhe bringen und Ihre Gedanken in andere Richtungen bewegen können. Und vielleicht finden Sie am Abend jemanden, mit dem Sie die neu gemachten Erfahrungen austauschen können: die Menschen mit denen Sie leben, Kollegen oder Nachbarn, Zufallsbekanntschaften oder Gott, der immer da ist und zuhört, wenn Sie mit ihm plaudern möchten.

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