Morgenimpuls mit Schwester Katharina

Gekreuzigte Liebe

Wenn wir zusammen unseren Morgenimpuls beten, dann tut das vermutlich jeder und jede an einem ganz anderen Ort, in einer vermutlich ganz anderen Situation. Vielleicht haben Sie ja gerade ein Kreuz vor sich stehen oder an der Wand hängen. In der Fastenzeit ist gerade der Freitag der Tag, an dem in den liturgischen Texten das Kreuz etwas mehr in den Mittelpunkt gestellt wird als sonst. Und innerhalb der Fastenzeit sind wir jetzt an einem Punkt, wo die Passion Jesu, also sein Leiden ganz besonders im Vordergrund steht. Wenn wir Schwestern morgens und abends in unserer Hauskapelle zusammenkommen und gemeinsam beten, dann schauen wir auch gemeinsam auf ein Kreuz. Es ist ein Taukreuz, wie es bei franziskanisch geprägten Menschen häufig zu sehen ist, und darin ist ein Behältnis mit dem Allerheiligsten eingelassen.

Jetzt am kommenden Sonntag, werden vielerorts die Kreuze bis Karfreitag verhüllt. Das ist ein alter Brauch, der sich nicht sofort jedem gleich erschließt. Denn gerade in der Zeit, in der wir intensiver das Leiden Jesu in den Blick nehmen sollen, verdecken wir das Symbol, welches gerade dieses Leiden zeigt. Und klar ist auch, dass eine Kreuzigung in der Antike kein „Kindergeburtstag“ war. Das war eine äußerst brutale und grausame Hinrichtungsmethode, bei der man lieber weggeschaut hat. Aber Gott antwortet auf eine solche Grausamkeit nicht mit Gegengewalt oder Vergeltung. Nein, er lässt von seiner Liebe zu uns Menschen nicht ab. Ich stelle mir manchmal die Grausamkeiten und all die Gewalt unserer Tage vor – im Kleinen wie im Großen –, wenn Menschen furchtbares erleiden und durchmachen müssen.

Aber bei manch einem wird dabei vieles gebrochen, nur die Liebe nicht. Gewalt kann vieles vernichten, aber die Liebe weicht nicht. Denn jeder Gewaltakt fordert geradezu Werke der Liebe heraus. Wenn Opfer getröstet werden, wenn ihnen die Hilfe zuteilwird, die sie gerade brauchen. Diesem unfassbar grausamen Krieg in Osteuropa mit all seinen sinnlosen Opfern steht eine unglaubliche Hilfsbereitschaft von vielen Menschen auch hierzulande gegenüber. Ein Kind, das in der Schule gemobbt, gehänselt, ja sogar verprügelt wird, wird von seinem Lehrer oder seiner Mutter getröstet.

Wir können uns viele solcher „gekreuzigter“ Menschen vorstellen. Vielleicht sind die verhüllten Kreuze in den nächsten zwei Wochen eine Möglichkeit, die nicht sichtbare Stelle in Gedanken mit denen auszufüllen, die unsere mitmenschliche Liebe neu oder wieder entfachen und uns zum Handeln bringen.
 

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