Ein Interview mit Bernhard Scheid (Akademie der Wissenschaften in Wien): Zur Trauer in Japan

Zur Trauer in Japan

Domradio.de: Menschen stehen geduldig vor einem Supermarkt an.Eine Frau berichtete lächelnd darüber, dass ihr gesamtes Hab und Gut zerstört ist. Das sind einige der Reaktionen der Menschen in Japan auf die gegenwärtige Katastrophe. Die Menschen dort geraten nicht in Panik, so scheint es jedenfalls. Wir sorgen uns im Stillen. Vielleicht ist das unsere Mentalität. Das sagte eine Japanerin. Doch woher nehmen die vom Schicksal gebeutelten Japaner diesen Gleichmut? Am Telefon ist jetzt Bernhard Scheid von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Er unterrichtet am Institut für Kultur und Geistes Geschichte. Sein Forschungsschwerpunkt, die Religionen in Japan und vielleicht ist der Schlüssel dafür, dass die Japaner ihr Schicksal mit so viel Ruhe und Gelassenheit aufnehmen. Guten Morgen.

Scheid: Ja, guten Tag.

Domradio.de: Herr Scheid, würden Sie sagen, ist das typisch Japan diese gleichmütige Reaktion auf dieses Horrorszenario jetzt?

Scheid: Ja, also ich muss sagen, dass ich mich selbst auch manchmal wundere über diese Gleichmut. Die man eben aus den Fernsehbildern sieht. Man muss ein bisschen in Betracht ziehen, dass die Leute, die wir da vor der Kamera sehen, ja dann meistens doch die sind, die nicht ganz so schlimm erwischt hat. Das heißt, es ist für alle irgendwie klar, wo das Zentrum des Horrors ist, nämlich im Norden und von dort sehen wir eigentlich nur Zerstörungen. Also so viele Leute haben zwar einiges verloren, die wir jetzt vor der Kamera sehen. Haben wir gleichzeitig sozusagen auch ein bisschen das Gefühl, na Gott sei Dank war es bei uns nicht am Allerschlimmsten. Also das scheint mir psychologisch auch eine gewisse Rolle zu spielen, die man bedenken muss. Aber gleichzeitig ist es auch eine Katastrophe von der man in Japan immer schon gewarnt hat beziehungsweise von der man weiß, man weiß, es gibt Erdbeben. Es ist ja auch nicht umsonst, dass die traditionelle Architektur zum Beispiel nur leichte Holzbauweise kennt, einfach, weil es Erdbeben gibt und baut daher nicht mit Steinen traditioneller Weise, heutzutage ist natürlich anders. Das sind alles Faktoren, wo man erkennt, dass die Kultur als solche auf solche Ereignisse in irgendeiner Weise vorbereitet ist.

Domradio.de: Buddhismus und Shinto das sind die zwei Hauptreligionen in Japan. Wie sehr prägt das denn die Menschen in ihrem Alltag?

Scheid: Ja, einerseits würde ich sagen das ist natürlich also, wenn man sich umsieht in Japan, man sieht also immer wieder religiöse Gebäude, sei es Hinduistische, sei es Buddhistische, die sind am Anfang gar nicht so leicht zu unterscheiden, aber man sieht auch, dass die Leute dort hingehen, vereinzelt ihre kleinen Rituale dort abhalten. Aber wenn man jetzt fragt gibt er so da direkte Antworten von, sei es von Shintu, sei es vom Buddhismus auf die Frage wie gehe ich mit dem Erdbeben um, wird man nicht so schnell fündig. Also da gibt es höchstens so Konzepte wie die einheimischen Götter, die Kami, die halt ich weiß nicht im Moment nicht aufgepasst haben oder im Moment etwas verstimmt sind, ja das wäre jetzt die Shinto Antwort. Die buddhistische Antwort könnte eventuell in irgendeiner Form nach einer Begründung aus dem Karma suchen. Aber all das sind Dinge, die jetzt nicht, keinen großen unmittelbaren Trost spenden. Ich glaube, dass einzelne Leute wahrscheinlich einfach weiter ihre alltäglichen Rituale machen, ohne sich groß darüber Gedanken machen zu müssen, wozu und darin einen gewissen Trost finden.

Domradio.de: Sie selbst waren ja schon oft in Japan wie unterscheidet sich denn die Mentalität der Japaner von uns Europäern, wenn man das einfach mal so ganz pauschal sagen kann?

Scheid: Ja also, ich höre das jetzt in den letzten Tagen immer wieder. Das ist ja eine ganz andere Mentalität, diese Disziplin und so weiter, und so weiter. Ich glaube also, dass es in den Köpfen der Einzelnen nicht so viel anders zugeht als in Köpfen hier. Es ist nur die Gesellschaft, wie schon gesagt, ein bisschen anders gestrickt, insoferne als es viel, viel mehr und viel enger vernetzte Gruppen gibt und Gruppenstrukturen. Man ist es in Japan sozusagen gewöhnt, wenn irgendwas Ungewöhnliches passiert, auch im Normalfall immer zu schauen, zu welcher Gruppe gehöre ich und wer sagt mir jetzt, wie es mit dieser Gruppe weitergehen soll. Und das sind kleine Gruppen. Das können also Nachbarschaftsgruppen sein, also die sind dann organisiert, oder auch informelle Geschichten wie Elternvereine, Kindergarten, Eltern, Gruppen oder was auch immer, nicht. Die halten die Gesellschaft stärker zusammen, als wir das hierzulande gewöhnt sind und verfügen dann auch in solchen Katastrophenfällen über entsprechende Maßnahmen. Einfach zum Beispiel sind die meisten Zufluchtsorte Schulen also auch normale Leute, die keine Kinder in den Schulen haben, wissen, wo die Schule ist und gehen dorthin, wenn ein Erdbeben ist. All das sind so Beispiele wie einfach dann kleine Gruppenstrukturen helfen über solche Katastrophen hinwegzukommen.