Zwischenbericht zum Missbrauch bringt Klärung und offene Fragen

"Angemessen Rechnung tragen"

Gut sieben Monate nach seiner Auftaktsitzung diskutiert der Runde Tisch der Bundesregierung zu sexuellem Missbrauch heute einen Zwischenbericht. Dessen Entwurf zeigt, wie viel sich seit der Anfang Februar aufgekommenen breiten öffentlichen Debatte bereits getan hat oder an Veränderungen schon absehbar ist.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

Aber zugleich wird deutlich, dass zentrale Fragen noch ziemlich offen und wohl auch umstritten sind: vor allem das Thema Entschädigung, die konkrete Ausgestaltung von Leitlinien für Institutionen und Einrichtungen sowie Vorgaben für pädagogisches Personal und Ehrenamtler. Die rund 60 Experten des Gremiums haben auch noch Zeit zur Klärung. "Am Ende des Jahres 2011 wird der Runde Tisch einen Abschlussbericht vorlegen." Das Ziel: "offenkundige" Missstände abbauen, ein geschütztes Aufwachsen ermöglichen.



Die Entschädigungsfrage kam seit dem Sommer wiederholt auf. Nun heißt es im Zwischenbericht, der Runde Tisch werde "sich auch der Frage zuwenden, wie den Opfern Gerechtigkeit und Genugtuung in Form von immaterieller und materieller Hilfe zuteilwerden kann". Diese oder ähnlich umschreibende Formulierungen finden sich im Text des öfteren. Mal ist von "angemessen Rechnung tragen", mehrmals von "Anerkennung in jeglicher Hinsicht" die Rede. Nur einmal spricht der Text explizit von "finanzieller Entschädigung der Opfer". Ausdrücklich verweist der Bericht auf den in wenigen Wochen anstehenden Abschlussbericht eines anderen Runden Tisches: Auch bei der Aufarbeitung des Heimkinder-Schicksals in der frühen Bundesrepublik stehen Entschädigungsforderungen im Raum - und scheinen bis jetzt nicht abschließend geklärt.



Verjährungsfrist soll auf 30 Jahre steigen

Doch zumindest einen finanziellen Aspekt klärte der Runde Tisch zum Thema sexueller Missbrauch. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) berichtete davon in den vergangenen Tagen im Bundestag und in Interviews. Die zivilrechtliche Verjährungsfrist soll von drei auf 30 Jahre steigen. Damit bekommen Opfer eine Chance auf Entschädigung auch dann, wenn sie ihr Leid lange Jahre verdrängt haben. Das Thema wird, ebenso wie gesetzlich striktere Vorgaben zum Kinderschutz aus dem Familienministerium, in Bälde das Parlament beschäftigen. Dagegen spielt die anfangs oft befürwortete Verlängerung der strafrechtlichen Verjährungsfristen nun keine große Rolle mehr.



Weitere Klärung steht noch bei der Einbeziehung der Strafverfolgungsbehörden an. Dabei hätten sich, so heißt es, "Mängel gezeigt". Künftig sollten klare Vorgaben verhindern, "dass die Aufklärung von Sexualstraftaten gegen Kinder und Jugendliche von den betroffenen Institutionen verhindert wird". Dafür will der Runde Tisch mit Leitlinien sorgen, die aber in der zuständigen Arbeitsgruppe noch kritisch diskutiert würden.



Entwicklung beim Blick auf die Opfer

Der gut 30-seitige Bericht, dem weitere Arbeitspapiere mit über 80 Seiten beigegeben sind, macht eher zwischen den Zeilen eine Entwicklung beim Blick auf die Opfer deutlich. "Institutionen wurden zum Teil in ihren Grundfesten erschüttert", heißt es im einleitenden Text der drei Ministerinnen Leutheusser-Schnarrenberger, Annette Schavan und Kristina Schröder (beide CDU). Das erinnert an den Schock und die Scham, die nach den ersten Enthüllungen die katholische Kirche prägten.



Zugleich verweist der Zwischenbericht darauf, dass die Täter der im Jahr 2009 in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfassten rund 13.000 Fälle sexuellen Missbrauchs "in der Mehrzahl aus dem sozialen Umfeld der betroffenen Kinder und Jugendlichen" kommen. Ein Großteil der sexuellen Übergriffe werde im familiären Umfeld begangen.



Doch wer auch immer der Täter ist, auch die summarische Auflistung macht die oft lebenslange Not der Opfer deutlich: Selbstmordgedanken oder Persönlichkeitsstörungen, massive Probleme in der privaten und beruflichen Entwicklung.