Zwei Sichtweisen auf die interreligiösen Treffen des Papstes

Fiktion gegen Realität?

Das Bild ging um die Welt: Papst Benedikt XVI. mit einem jüdischen Rabbiner und einem Scheich, Hand in Hand ein Friedenslied singend. Das interreligiöse Treffen von Nazareth bildete einen starken Kontrast zu dem Treffen drei Tage zuvor im Jerusalemer Notre-Dame-Zentrum. Dort hatte der muslimische Vertreter, Scheich Taisir Al-Tamimi, wider alle Planungen das Mikrofon und die Gelegenheit ergriffen, eine erregte Anklage gegen Israel um die Welt zu schicken. Die Katholische Nachrichten-Agentur sprach mit Organisatoren der beiden so unterschiedlichen Begegnungen - und erhielt zwei sehr unterschiedliche Einschätzungen.

Autor/in:
Gabi Fröhlich
 (DR)

Rabbi Alon Goschen-Gottstein, als Direktor des Elija Interfaith-Instituts eine profilierte Figur im interreligiösen Dialog in Israel, stimmte bei der Begegnung in Nazareth das Friedenslied an.

KNA: Rabbi Goschen-Gottstein, stammte die Idee mit dem Friedenslied von Ihnen?
Goschen-Gottstein: Ja. Zuvor hatte ja das missglückte Treffen in Jerusalem stattgefunden, das der muslimische Vertreter mit seiner politischen Rede sprengte. Nach diesem Tag waren alle sehr frustriert, das Ansehen des Papstes in Israel sank dramatisch:
Zuerst waren seine Worte in Jad Vaschem nicht so gut angekommen, dann dieser Skandal. Ich dachte, wir müssten irgendein starkes Zeichen setzen, um den Papstbesuch in der öffentlichen Wahrnehmung zu retten und den Leuten die Hoffnung wiederzugeben. Da kam mir die Idee des gemeinsamen Friedensgebetes mit allen Religionsvertretern.

KNA: Es war ein Gebet? Das wurde hinterher diskutiert: Gebet oder "nur" ein Lied...
Goschen-Gottstein: Fakt ist, dass ich zum gemeinsamen Gebet für Frieden aufgerufen habe. Es war ein Gebet in Form eines Liedes - ich hatte es in den Tagen davor extra für diesen Anlass geschrieben. Der Text war: "Salaam, Schalom - Herr gib uns Frieden." Und der Papst hat wie die anderen mitgesungen. Der Vatikan hat die Idee hinterher als "genial" bezeichnet.

KNA: Sie wissen, dass noch nie ein Papst offiziell gemeinsam mit anderen Religionsvertretern gebetet hat und das ein theologisch sehr umstrittenes Thema ist?
Goschen-Gottstein: Natürlich. Ich wusste, es war etwas ganz Besonderes. Eigentlich habe ich es auch nicht wirklich geplant - ich wusste einfach, ich muss es tun. Es war zwar nicht leicht, die Verantwortlichen zu überzeugen, zuerst die des Vatikan, dann aber auch die israelischen Organisatoren. Dort fürchtete man, dass die Muslime dagegen sein würden. Aber schließlich kamen alle Verantwortlichen zu der Erkenntnis, dass solch eine starke Geste wichtig war - auch für die Zukunft des Dialogs.

KNA: Haben Sie Rückmeldung bekommen, wie es ankam?
Goschen-Gottstein: Einen Sturm der Zustimmung: Ich bin mit E-Mails überhäuft worden, von Menschen aus aller Welt, die sich bedankt haben. Viele sagten, sie hätten kaum noch an den interreligiösen Dialog geglaubt - und dass ihnen das Bild vom Papst, wie er mit Juden, Muslimen und Juden ein Friedensgebet singt, wieder Mut gegeben habe. Manchmal können Bilder auch Fakten schaffen, darum sind sie so wichtig.


Jesuitenpater David Neuhaus, Vikar der hebräischsprachigen Katholiken und Dozent für Bibelwissenschaften, war hauptverantwortlich für das interreligiöse Treffen mit Benedikt XVI.
im Jerusalemer Notre-Dame-Zentrum.

KNA: Pater Neuhaus, war das Jerusalemer Treffen eine große Panne?
Neuhaus: Geplant war die Rede des Scheichs natürlich nicht - insofern lief das Treffen anders als gedacht. Aber ich fand es deshalb nicht misslungen. Das ist eben die Realität des interreligiösen Dialogs im Heiligen Land, ein höchst authentisches
Bild: Wir streiten, schreien uns an und reden hinterher hoffentlich wieder miteinander. Wir stehen hingegen selten Hand in Hand und singen Friedenslieder...

KNA: Sie fanden die Idee mit dem Friedenslied in Nazareth gar nicht gut?
Neuhaus: Es war sicher eine schöne Idee. Viele haben anschließend gesagt, es sei der schönste Moment der ganzen Papstreise gewesen.
Aber vielleicht war es auch der irrealste Moment. Die Planung für das Treffen in Nazareth lag beim israelischen Außenministerium; selbst ein Teil der Redner waren Regierungsangestellte. Beim Treffen in Jerusalem hingegegen waren die Vertreter auf dem Podium wirklich Vertreter ihrer Glaubensgemeinschaften: Wir hatten die Mitglieder des "Konzils der Religiösen Einrichtungen des Heiligen Landes" gebeten, ihre Repräsentanten zu schicken, auch wenn sie eigentlich nicht hätten sprechen sollen. Dadurch wollten wir versuchen, den Eklat des Jahres 2000 beim Treffen mit Johannes Paul II. zu verhindern. Aber dann ist es doch wieder passiert. Sicher hätten die Profis des interreligiösen Dialogs eine nettere Szene vorgezogen.
Aber hier ist der Dialog tatsächlich sehr schwer von Politik zu trennen, so wie die Fakten stehen.

KNA: Vertreter des Judentums haben nach dem Eklat in Jerusalem erklärt, mit Scheich Al-Tamimi würden sie keinen Dialog mehr führen.
Ist dieses ganze Forum der Repräsentanten der jeweiligen Religionsgemeinschaften infrage gestellt?
Neuhaus: Wir haben ganz klar gesagt: Die Arbeit des Konzils der Religiösen Einrichtungen geht weiter - ob mit oder ohne Al-Tamimi, ist noch nicht klar. Es hat diese sehr empörten Stimmen gegeben, ganz klar. Aber es sind auch Juden nach dem Notre-Dame-Treffen zu mir gekommen und haben gesagt, inhaltlich seien sie mit dem Scheich durchaus einverstanden - wenn auch seine Rede deplatziert und in einer unguten Weise vorgetragen war. Andererseits hat Al-Tamimi einfach ein hitziges Temperament: Zwei Tage nach dem Treffen hat er gegenüber einem einheimischen Kirchenführer zugegeben, dass sein Vorstoß im Notre-Dame-Zentrum ein Fehler war. Und auch viele hochrangige Muslime sehen das so. Die Realität im Heiligen Land ist eben viel komplexer, als der erste Eindruck glauben machen will.