Zum Welt-Aids-Tag: Jung und HIV-positiv

"Es hat mich umgehauen"

Auch nach Jahren intensiver Aufklärung bleibt die Zahl der HIV-Neuinfektionen hoch. Besonders betroffen sind die Jüngeren. Darauf macht auch der Welt-Aids-Tag am 1. Dezember aufmerksam.

Autor/in:
Andrea Barthélémy
 (DR)

Doreen (33) strahlt. Das liegt nicht nur an ihrer Vorliebe für Pink, die sich an diesem Tag in dem modischen Flanellhemd, Lidschatten und Rouge zeigt, sondern vor allem an ihren lachenden Augen. "Mir geht es echt gut. Ich genieße heute das Leben mehr als vorher", sagt die junge Frau, die seit acht Jahren mit dem Befund HIV-positiv lebt und jeden Tag Tabletten schluckt, um den Immunschwäche-Erreger in Zaum zu halten.

Acht weitere Jahre hat Doreen, die sich an der Kampagne zum Welt-Aids-Tag (1.12.) beteiligt, von der Infektion nicht mal etwas geahnt. Angesteckt hatte sie sich bei ihrer ersten großen Liebe mit 17 Jahren. Zehn Monate waren die beiden zusammen, verhüteten nach einiger Zeit mit Pille statt mit Kondom. "Dass er nebenher noch andere Affären hatte, hab ich erst später erfahren." Heute kann sie das mit einem Lächeln tun. "Damals hat es mich umgehauen, als ich von der Diagnose erfuhr. Ich konnte es mir überhaupt nicht vorstellen, dass HIV oder Aids etwas mit mir zu tun haben sollten."

78.000 Menschen mit HIV oder Aids

In der Tat: Als junge Frau mit festem Freund gehört Doreen zur kleinsten Gruppe derer, die sich mit dem Aids-Erreger infizieren. Nach wie vor sind es vor allem - junge - Männer, die Sex mit Männern haben. Und auch nach Jahren intensiver Aufklärung bleibt die Zahl der Neuinfektionen hoch: 2012 haben sich etwa 3400 Menschen mit HIV infiziert, drei Viertel davon schwule Männer, schätzt das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. Hinzu kommen etwa 14 000 HIV-Positive, die noch nichts von der Infektion wissen - weil sie keinen Test gemacht haben. Insgesamt lebten in Deutschland Ende 2012 schätzungsweise 78 000 Menschen mit HIV oder Aids.

"Das HI-Virus hat wegen der neuen Therapien für viele ein Stück des Schreckens verloren. Und gerade die jüngere Generation hat das große Sterben nicht mehr mitgekriegt", nennt RKI-Expertin Viviane Bremer als Grund. Inwieweit sich tatsächlich beim Sex wieder größere Sorglosigkeit und ein höheres Risikoverhalten breitmachen, kann derzeit aber nur vermutet werden. Konkrete Zahlen gibt es im kommenden Sommer: Dann wird das RKI eine aktuell laufende Internetbefragung ausgewertet haben, in der homosexuelle Männer Auskunft geben über die Zahl ihrer Sex-Partner, Praktiken und Schutzverhalten.

Neu daran: Alle Teilnehmer erhalten einen Gutschein für einen unkomplizierten Bluttest. "Das ist ein Benefit und hilfreicher Anstoß für die Männer. Und es ist hilfreich für uns, denn wir bekommen belastbare Zahlen darüber, wie hoch der Anteil der Befragten ist, die infiziert sind und nichts davon wussten", sagt Bremer. Bei einer Umfrage unter homosexuellen Männern in Hamburg in diesem Jahr war jeder 25. Teilnehmer HIV-positiv ohne es zu wissen. In der Tat liegt in der regelmäßigen Testung weiterhin ein Problem: Einige Städte und Regionen fahren ihr Angebot an schnellen, niedrigschwelligen Testmöglichkeiten für HIV und sexuell übertragbare Krankheiten zurück - aus Geldnöten. Auch in Berlin wird seit Monaten um die Weiterfinanzierung dieser Projekte gerungen.

Diskriminierungen und Vorurteile

Aber nicht nur in Großstädten ist HIV ein Thema. "HIV ist viel mehr als vor Jahren in die gesamte Bevölkerung gestreut", sagt Armin Schafberger von der Deutschen Aidshilfe. Grund dafür sind vor allem Datingportale und Chatrooms im Internet. "Heute ist es auch auf dem Land oder in der Kleinstadt möglich, noch für den selben Abend einen Sexualpartner zu finden", sagt Schafberger. Laut Bremer sind es oft aber gerade Männer, die außerhalb von Großstadt-Szenen und vielleicht auch nicht offen schwul leben, die sich weniger gut schützen und auch seltener testen lassen. "Hier müssen wir auch im Internet noch mehr für die Aufklärung tun", sagt sie.

Auch Doreen, die heute ehrenamtlich in Braunschweiger Schulen über ihr Schicksal erzählt, will sich künftig für mehr HIV-Aufklärung im Web engagieren - mit selbstgemachten Videos. "Um auf die Diskriminierungen und Vorurteile aufmerksam machen, mit denen HIV-Positive immer noch zu kämpfen haben - beim Arzt, unter Kollegen und Freunden." Jahre, nachdem ihr Leben durch die Diagnose auf den Kopf gestellt wurde, hat sich für sie vieles in Job, Freundeskreis und Familie wieder glücklich zusammengefügt. "Und mein größter Wunsch ist auch in Erfüllung gegangen", sagt sie mit Blick auf die Kampagne zum Welt-Aids-Tag und lacht wieder, dass ihre Ohrringe, glitzernde Notenschlüssel, nur so wackeln: "Ich bin riesiger Sarah-Connor-Fan. Ihre Musik hat mir geholfen, als es mir ganz schlecht ging. Und auf den Kampagnen-Fotos ist Sarah nun an meiner Seite. Das ist grandios!"
 


Quelle:
dpa