Zum Verhältnis von Kirche und NS-Regime

Retten statt Reden

Auch bald 65 Jahre nach dem Untergang des Dritten Reichs ist die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus keineswegs beendet.

 (DR)

So sorgen Publikationen über die Zeit zwischen 1933 und 1945 immer wieder für Kontroversen. Ein besonders emotionales Thema ist dabei die Frage nach der Rolle der Kirchen. Warum das so ist, erläutert der Historiker und Direktor der Kommission für Zeitgeschichte in Bonn, Karl-Joseph Hummel, im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

KNA: Herr Hummel, warum kochen die Emotionen gerade beim Thema Kirchen und NS-Zeit immer wieder so hoch?
Hummel: Die katholische Kirche ist als Sündenbock besonders geeignet, weil es keine andere Institution gegeben hat, die eine vergleichbare moralische Fallhöhe gehabt hätte. Deswegen werden an sie zuweilen moralische Maßstäbe angelegt, die sich in wissenschaftlichen Kategorien schwer bis gar nicht fassen lassen.

KNA: Zum Beispiel?
Hummel: Die Diskussion um das angebliche Schweigen von Papst Pius XII. zum Holocaust. Mit seinem Stück "Der Stellvertreter" prägte Rolf Hochhuth das Bild eines skrupellosen Machttaktikers, den das Schicksal der Juden kalt ließ. Die Zeithistoriker können inzwischen vielfach nachweisen, dass Hochhuths Moralfigur mit dem tatsächlichen Papst Pius XII. nur wenig Gemeinsamkeiten hat. Trotzdem spukt die Theaterwirklichkeit weiter in den Köpfen der Öffentlichkeit herum.

KNA: Ein Plädoyer für akribische Archivarbeit, wie das von Ihnen mit herausgegebene Buch "Die Katholiken und das Dritte Reich" unterstreicht.
Hummel: Die in diesem Buch gesammelten Beispiele zeigen, dass viele angeblich umstrittene Sachverhalte längst geklärt sind. Seriös kann man beispielsweise nicht mehr behaupten, das Reichskonkordat vom Sommer 1933 habe Adolf Hitler auf der politischen Weltbühne erst salonfähig gemacht.

KNA: Trotzdem drängt sich die Frage auf, warum die katholische Kirche nur wenige Monate nach Hitlers "Machtergreifung" diesen "Teufelspakt" mit dem Diktator schloss.
Hummel: Die Hoffnung bestand darin, durch einen solchen Vertrag der Kirche und ihren Gläubigen auch innerhalb eines totalitären Staates Freiräume zu sichern. Diese Hoffnung erwies sich jedoch schon bald als verfehlt. Dazu muss man sich allerdings auch vor Augen halten, dass keine der drei grundsätzlichen Möglichkeiten, die die Kirche hatte, mehr als eine Notlösung war. Einfach auf die Seite der neuen Machthaber überzulaufen, war aufgrund weltanschaulicher Differenzen ausgeschlossen. Es blieb also nur noch der offene Widerstand oder der Rückzug aus dem politischen Leben. Das Konkordat folgte letzten Endes dieser Idee vom "Sakristeikatholizismus".

KNA: Die Verantwortlichen auf kirchlicher Seite, und damit auch die deutschen Bischöfe, hielten also nichts von offenem Widerstand?
Hummel: So einfach lagen die Dinge nicht. Die Kirche als Institution konnte nicht Widerstand leisten, hatte aber die Aufgabe, ihre Mitglieder in die Lage zu versetzen, individuelle Gewissensentscheidungen zu treffen. Laien wie Bischöfe waren in der Frage der politischen Strategie auch unter sich keineswegs einig.

KNA: Dennoch gab es bei Teilen des deutschen Episkopats im Laufe der Zeit einen Meinungsumschwung.
Hummel: Sogar schon vergleichsweise früh, nämlich in den Jahren 1936 und 1937. Am 4. November 1936 empfing Hitler den Münchner Kardinal Michael Faulhaber auf dem Obersalzberg. Am Ende dieses Gesprächs war Faulhaber klar, dass es selbst im Abwehrkampf gegen den "gottlosen Bolschewismus" keine Zusammenarbeit zwischen dem NS-Regime und der katholischen Kirche geben konnte. Im Anschluss daran kam es auch auf Initiative der deutschen Bischöfe zu der Enzyklika "Mit brennender Sorge". Darin verurteilte Papst Pius XI. im März 1937 den Nationalsozialismus auf scharfe Weise.

KNA: Was waren die Konsequenzen?
Hummel: Diese strategische Wende mündete zunächst in ein Desaster.
Kurz nach Veröffentlichung des Schreibens nahm die Verfolgung der katholischen Kirche im Reich an Schärfe zu. Dies war dann auch mit ein Grund, warum Kardinal Faulhaber Weihnachten 1937 in einem Geheimtreffen mit einem päpstlichen Gesandten dafür plädierte, den internationalen Druck auf die Regierung Hitler nicht weiter zu verschärfen. Stattdessen verfuhr der Vatikan seither nach dem Motto "Retten statt Reden".

KNA: Womit wir wieder beim "schweigenden Papst" wären.
Hummel: Ja, aber dieses Schweigen hatte einen ganz konkreten Grund.
Ein Hauptanliegen bestand darin, die vom Vatikan initiierten oder koordinierten Hilfsmaßnahmen für die Verfolgten des NS-Regimes zu decken. Aus den bislang ausgewerteten Quellen wissen wir, dass es vor 1939 verschiedenste Rettungsmaßnahmen gab. Und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich das nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs plötzlich geändert haben sollte. Insgesamt, so schätzt man heute, sind bis zu 150.000 Juden mit katholischer Hilfe vor den Vernichtungslagern der Nazis gerettet worden.

KNA: Schlummern in den Archiven des Vatikan möglicherweise weitere Erkenntnisse zu diesem Thema?
Hummel: Das erfahren wir wohl erst 2014, wenn die Aktenbestände aus den Jahren 1939 bis 1958 freigegeben werden.

KNA: Und was erwartet der Historiker von den letzten NS-Prozessen wie dem gegen John Demjanjuk?
Hummel: Es ist sicherlich eine Art Zäsur. Die letzten Zeitzeugen - Täter wie Opfer - sterben aus. Konkrete Erkenntnisgewinne aus diesen Prozessen halte ich aus wissenschaftlicher Sicht für eher unwahrscheinlich.

Das Gespräch führte Joachim Heinz.

Hinweis: Karl-Joseph Hummel, Michael Kißener (Hrsgg.): "Die Katholiken und das Dritte Reich. Kontroversen und Debatten", 317 Seiten, Paderborn 2009, 32,90 Euro.