Zum 75. Geburtstag des Brüsseler Kardinals Jozef De Kesel

Ausgebremster Hoffnungsträger

Jozef De Kesel galt Insidern als ein Hoffnungsträger für Reformen in der katholischen Kirche. Doch in seiner Zeit als Brüsseler Kardinal hatte er lange mit einem mächtigen Gegner zu kämpfen.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Kardinal Jozef De Kesel / © Paolo Galosi/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Jozef De Kesel / © Paolo Galosi/Romano Siciliani ( KNA )

Seine Ernennung zum belgischen Primas und Erzbischof von Mecheln-Brüssel war 2015 ein Hoffnungszeichen für eine gebeutelte Ortskirche. Jozef De Kesel ging ein Ruf als Einbinder und Brückenbauer voraus; der richtige Mann nach Jahren der Missbrauchs-Depression und fehlender Anschlussfähigkeit im gesellschaftlichen Dialog. Und De Kesel startete auch gut durch - bis ihm etwas Unerwartetes einen Strich durch die Rechnung machte. Am Freitag (17. Juni) wird der Brüsseler Kardinal 75 Jahre alt; jene Altersgrenze, mit der Bischöfe dem Papst gemäß dem Kirchenrecht ihren Amtsverzicht anbieten müssen.

Kirche in Belgien

Belgien hatte in der jüngeren Kirchengeschichte große Bedeutung als Stätte der wissenschaftlichen Theologie und in der Mission. Nach den Missbrauchsskandalen steht zuletzt wie anderswo eher Krisenbewältigung im Zentrum. Vor allem die Universität Löwen (Leuven/Louvain) ist eine europaweit renommierte Stätte der wissenschaftlichen Theologie und speziell der Missionstheologie. Sie verlor allerdings etwas von ihrem Nimbus im flämisch-wallonischen Sprachenstreit der 1960er Jahre und durch die sprachliche und räumliche Trennung in zwei Hochschulen.

Symbolbild Kreuz im Licht / © Kanjana Kawfang (shutterstock)
Symbolbild Kreuz im Licht / © Kanjana Kawfang ( shutterstock )

Schon kurz nach seiner Berufung ins belgische Hauptstadtbistum wirbelte De Kesel mit einem Reizthema Staub auf. In einem Interview sprach sich der neue Erzbischof für die Möglichkeit einer Priesterweihe von verheirateten Männern aus. Er sei nicht für die Abschaffung des Zölibats an sich - aber für verheiratete Männer als Priester, so Belgiens Primas. Er erinnerte an die mit Rom unierten katholischen Kirchen des Ostens, wo verheiratete Männer Priester werden könnten.

In einer Traditionslinie seiner Vorgänger

Die Argumentation war keineswegs neu. Aber dass der ranghöchste Vertreter einer traditionell theologisch hochstehenden Ortskirche öffentlich eine solch erwartbar streitbare Position einnahm, dürfte damals schon einige Zeit her gewesen sein. Ein Teil dieses Mutes lag sicher auch im kirchenpolitischen Kurs des damals neuen Papstes Franziskus begründet, offene Diskussionen in der Kirche zuzulassen und Denkverbote zu durchbrechen.

Dabei ist De Kesel keineswegs ein Umstürzler oder ein theologisierendes Irrlicht. Mit seinem Vorstoß steht er in einer Traditionslinie seiner Vorgänger - und mitten in einer Kirchenkrise in seinem Land. Beispiel Kardinal Leo Suenens (1904-1996), ein Zugpferd der Kirchenreformer beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965). Nach dem Konzil war Suenens ein lautstarker Opponent römischer Versuche, die Beschlüsse der Kirchenversammlung in einer konservativen Interpretation zurückzudrehen.

Auch Vorgänger waren reformorientiert

Tatsächlich wandte er sich 1969 gegen das auch "Pillen-Enzyklika" genannte Lehrschreiben "Humanae Vitae" Papst Pauls VI., das jede Art künstlicher Verhütung untersagte - für Suenens eine krasse Fehlentscheidung. Zudem drängte er massiv auf eine Altersbegrenzung für Bischöfe auf 75 Jahre und eine Deregulierung des Kirchenrechts.

Beispiel Godfried Danneels (1933-2019): Ebenso reformorientiert wie Suenens, fiel dem populären Kirchenmann am Ende der Skandal um den kirchlichen Umgang mit sexuellen Missbrauchsfällen auch persönlich auf die Füße. Seine bis zur Pensionierung 2010 vertretene liberale Agenda kam nicht nachhaltig zum Tragen.

"Zum Glück", sagen Kirchenvertreter, die eher den konservativen Kurs des nachfolgenden Erzbischofs Andre-Joseph Leonard (82) vertreten. Dessen Amtszeit (2010-2015) beurteilen Beobachter als eher glücklos. Mehrere seiner öffentlichen Äußerungen sorgten für massive Proteste aus der Bevölkerung und auch aus dem Inneren der Kirche.

Forderung nach Segnung gleichgeschlechtlicher Paare

Umso aufmerksamer wurden die anders klingenden Töne des neuen Erzbischofs De Kesel zum Zölibat und zum Dialog mit den belgischen Muslimen vernommen. De Kesel wurde unter Suenens christlich sozialisiert, wurde von Danneels geweiht und war unter ihm Weihbischof. Später war er Nachfolger (2010-2015) des im Pädophilie-Skandal gefallenen Bischofs Roger Vangheluwe als Bischof von Brügge.

In Brüssel betrieb De Kesel nicht offen einen Rollback des Rollback unter Leonard. Und er signalisierte auch keine neue Aufsässigkeit der belgischen Kirche. Mit seinem nachdenklichen Ton versucht er vielmehr, einer Kirche, der erkennbar die Felle wegschwimmen, neue Türen zum Dialog mit der Gesellschaft zu öffnen. Den traditionellen Kardinalstitel für den Brüsseler Erzbischof, der Leonard von Papst Franziskus verwehrt blieb, bekam De Kesel im November 2016.

Im Frühjahr 2018 ein weiterer Vorstoß: De Kesel forderte die Kirchenleitung auf, Sex von homosexuellen Paaren zu respektieren; die lehrmäßig eingeforderte Enthaltsamkeit entspreche nicht mehr der Zeit. Sexualität müsse vielmehr nach ihrem Grad an "Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Verbindlichkeit" im Rahmen einer partnerschaftlichen Beziehung bewertet werden. Die Kirche solle daher auch gleichgeschlechtliche Paare öffentlich segnen dürfen.

Zweifel an Rückkehr ins Amt

Was also ist aus diesen "Regierungserklärungen" des Primas geworden? Der Krebs raubte ihm in den vergangenen Jahren sehr viel Energie. Nicht alle in Belgien glaubten, dass er überhaupt ins Amt zurückkehren könnte. Im Mai 2021 legte De Kesel dann ein neues Buch über "Glaube und Religion in einer modernen Gesellschaft" vor. Er bilanzierte damals: Sowohl seine Krankheit als auch sein Nachdenken über die Pandemie ließen ihn heute denken, sowohl er selbst als auch die Gesellschaft als Ganze müsse manchmal Umwege einschlagen, um zum Ziel zu gelangen.

Der Kirche heute müsse es darum gehen, ihre Botschaft zu verkünden und anzubieten, so der Kardinal. Das sei etwas ganz anderes als die Christianisierung vergangener Zeiten. Eine Gesellschaft "wieder christlich zu machen", sei heute weder möglich noch wünschenswert. "In einer säkularisierten Gesellschaft hat keine Religion ein Monopol - und es gibt nur eine Lösung, nämlich Toleranz", sagte De Kesel.

 

Quelle:
KNA