Zum 100. Geburtstag von Helmut Schmidt

"Willen braucht man - und Zigaretten"

Viele Jahre hat er die Politik in Deutschland geprägt: Helmut Schmidt. Auch danach noch war er als "elder statesman" eine Institution. An diesem Sonntag wäre er 100 Jahre alt geworden. Hunderte gedachten seiner im Hamburger Michel.

Autor/in:
Johannes Schönwälder
Zum 100. Geburtstag des Ex-Kanzlers legte die Hamburger SPD einen Kranz nieder / © Axel Heimken (dpa)
Zum 100. Geburtstag des Ex-Kanzlers legte die Hamburger SPD einen Kranz nieder / © Axel Heimken ( dpa )

Viele hatten ihm zugetraut, 100 Jahre alt zu werden. Trotz der Zigaretten, trotz der inzwischen eingeschränkten Mobilität. Aber es kam anders. Am 10. November 2015 starb der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt im Alter von 96 Jahren in seinem Haus in Hamburg. Am 23. Dezember dieses Jahres hätte er die 100 geschafft.

Schmidt - Der "Retter der Stadt"

Für die Hamburger war und ist Schmidt stets der "Retter der Stadt". Bei der großen Sturmflut im Februar 1962 bewährte sich der damalige Innensenator als Krisenmanager, als er ohne gesetzliche Grundlage Bundeswehrsoldaten an die Seite von Polizei, Rettungsdiensten und Katastrophenschutz stellte.

Er habe das Grundgesetz nicht angesehen in jenen Tagen, sagte er später - und hatte fortan das Image eines Machers weg. "Willen braucht man. Und Zigaretten", kommentierte er später seine Art des Handelns.

Blumen und Grablichter - Zigaretten und Schnupftabak

Generationen von Nachgeborenen hörten von den Älteren von Schmidts Taten in jenen Tagen. Immer noch pilgern vor allem ältere Hamburger an das bescheidene Grab in Ohlsdorf. Ein kleiner Stein, darauf Namen und Lebensdaten von Ehefrau Hannelore und ihm selbst. Die Verwaltung hat aufgrund vieler Nachfragen ein Hinweisschild aufgestellt. Besucher legen Blumen und Grablichter nieder - und Zigaretten und Schnupftabak.

Schmidt bleibt unvergessener Kanzler (1974-1982) in nicht leichter Zeit, Staatsmann, Europäer, Weltbürger und -erklärer. Oder ganz einfach: der Mann mit der Lotsenmütze. Er trug sie beim Regieren in Bonn, bei Staatsbesuchen in aller Welt und zu Hause in Hamburg-Langenhorn, wo die Schmidts ein unscheinbares Doppelhaus bewohnten.

Schwierige Entscheidungen seiner Kanzlerschaft

Schmidt war Chef der SPD-Fraktion (1967-1969), Verteidigungsminister, ab 1972 Finanzminister unter Willy Brandt. Nach dessen Rücktritt wählte der Bundestag ihn zum Kanzler. Diese Zeit prägte nicht nur ihn. Er prägte auch die Zeit. Der Politik schrieb er im "Deutschen Herbst" 1977 die vielleicht auch für ihn selbst schwerste Einsicht ins Stammbuch: Als die RAF inhaftierte Terroristen freipressen wollte, stellte er klar, dass der Staat sich nicht erpressen lassen dürfe. Der entführte Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer wurde ermordet.

Auch seinen Weg zum Nato-Doppelbeschluss 1979 ging Schmidt konsequent zu Ende, gegen die Widerstände in seiner eigenen Partei und von Hunderttausenden Friedensaktivisten. Seine Niederlage im konstruktiven Misstrauensvotum 1982 und die Wahl von Helmut Kohl zum Kanzler nahm er mit derselben Disziplin hin. Ebenso konsequent ging er aus der großen Politik in Bonn hinein in seine Spätkarriere als Autor und Mitherausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit".

Helmut Schmidt als Privatmann

Wichtigster Mensch an seiner Seite war seine Frau, mit der er 68 Jahre verheiratet war. An "Loki" schätze er ihre Menschenkenntnis, Warmherzigkeit und "absolute Zuverlässigkeit". Als sie 2010 starb, sei er "völlig zerstört" gewesen. In der langen Beziehung hat es indes eine Affäre Ende der 1960er Jahre gegeben, die Schmidt ein halbes Jahrhundert später öffentlich zugab.

Ein angespanntes Verhältnis hatte Schmidt zu Religion und Kirche. Auch im Alter wurde sein Urteil nicht milder. Die Kirchen hätten nach dem Zweiten Weltkrieg weder eine Neubegründung der Moral noch der Demokratie und des Rechtsstaats geleistet. Religion hielt er für eine Quelle des Unfriedens. Dennoch blieb er Kirchenmitglied.

Abschied von einem "Giganten"

In einer Kirche, seinem Hamburger Michel, wird Schmidt 2015 von rund 1.800 Gästen verabschiedet. Ihn nennt Olaf Scholz (SPD), damals Hamburgs Erster Bürgermeister, einen "Giganten", der frühere US-Außenminister und enge Freund Henry Kissinger "eine Art Weltgewissen", Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einen "Gründervater unserer Diplomatie".

Draußen stehen Tausende. Um ihre hanseatische Haltung ist es geschehen, als drinnen - ebenfalls auf Schmidts Wunsch - das "Abendlied" von Matthias Claudius erklingt: "So legt euch denn, ihr Brüder, in Gottes Namen nieder". Der Sarg wird im Anschluss im Schritttempo kilometerweit durch die Stadt gefahren.

Vermächtnis des Altkanzlers

Heute heißt der Flughafen der Stadt "Hamburg Airport Helmut Schmidt", das Pressehaus "Helmut-Schmidt-Haus" und seit 2017 gibt es eine Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung, die unter anderem eine Dauerausstellung über den großen Sohn der Stadt einrichten soll. Eine private Helmut-und-Loki-Schmidt-Stiftung existiert im ehemaligen Wohnhaus des Paares.

Zum 100. Geburtstag sind eine Sonderbriefmarke und eine 2-Euro-Münze herausgekommen. Noch einmal wird Großes über einen großen Deutschen gesagt werden am und um den 100. Geburtstag. Er hätte dafür vielleicht einen Spruch parat gehabt: "Die Deutschen haben ein eigenartiges Talent, bisweilen die falschen Tage zu feiern."(KNA)


Grab von Altkanzler Helmut Schmidt  / © Daniel Bockwoldt (dpa)
Grab von Altkanzler Helmut Schmidt / © Daniel Bockwoldt ( dpa )

Helmut Schmidt und Loki Schmidt  / © Ulrich Perrey (dpa)
Helmut Schmidt und Loki Schmidt / © Ulrich Perrey ( dpa )

Staatsakt für Helmut Schmidt / © Christian Charisius (dpa)
Staatsakt für Helmut Schmidt / © Christian Charisius ( dpa )

Bundespräsident Gauck und Susanne Schmidt hinter dem Sarg von Helmut Schmidt / © Carsten Rehder (dpa)
Bundespräsident Gauck und Susanne Schmidt hinter dem Sarg von Helmut Schmidt / © Carsten Rehder ( dpa )
Quelle:
KNA