Theologin Rahner kritisiert Pläne zur Priesterausbildung

Zu kurz gedacht?

Steht die wissenschaftliche katholische Theologie in Deutschland auf dem Prüfstand? Die Pläne der Deutschen Bischofskonferenz haben möglicherweise weniger Fakultäten zur Folge. Das stößt bei der Theologin Johanna Rahner auf wenig Gegenliebe.

Studenten in Sankt Georgen / © Harald Oppitz (KNA)
Studenten in Sankt Georgen / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie sind von den Plänen der Bischöfe, die Ausbildung der Priester zu konzentrieren, wenig begeistert. Warum?

Prof. Dr. Johanna Rahner (Vorsitzende des Katholisch-Theologischen Fakultätentages): Es liegt zunächst einmal daran, dass das ein sehr komplexer Sachverhalt ist und man verschiedene Dinge bedenken muss. Es geht bei dieser Entscheidung nicht nur um die Konzentration der Priesterausbildung oder um irgendwelche Kriterien, die diese Qualitätssicherungsprozesse sicherstellen können, sondern das ist ein hochkomplexes Thema, weil wir ja in Deutschland die Situation haben, dass mit der Priesterausbildung - zumindest nach den formalen Vorgaben des Staatskirchenrechts - die Existenz von Fakultäten verbunden ist.

Also: ohne Priesterausbildung kein Fakultätsstatus, kann man kurz zusammenfassen. An der zurzeit geführten Diskussion stört mich, dass man meint, über die Priesterausbildung entscheiden zu können, ohne die entsprechenden Folgewirkungen mit zu bedenken.

DOMRADIO.DE: Es ist also weniger ein Problem der geringer werdenden Anzahl an Priesteramtskandidaten, sondern mehr ein strukturelles, das im Konkordat begründet liegt?

Rahner: Die konkordatsrechtlichen Regelungen bestehen seit Beginn des 20.Jahrhunderts mit den entsprechenden Vereinbarungen des damals noch Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl. Damals gab es natürlich nur Priesteramtskandidaten als Studierende der Theologie. Heute hat sich sowohl das Studium verändert als auch die Menschen, die Theologie studieren. Es sind zu über 90 Prozent Laientheologinnen und Laientheologen. Es sind über 50 Prozent - in manchen Standorten sogar mehr -, die für das Lehramt an Gymnasien oder der Primarstufe oder der Sekundarstufe 1 studieren. Nur ein ganz kleiner Prozentsatz sind noch tatsächlich Priesteramtskandidaten im eigentlichen Sinne.

Das heißt, wir haben eine völlig veränderte Struktur im Vergleich zum Beginn des 20.Jahrhunderts. Was ich gut nachvollziehen kann, ist, dass man angesichts der sinkenden Zahlen der Priesteramtskandidaten tatsächlich reagieren muss. Die Frage ist nur, wie man reagiert und ob tatsächlich die Konzentration der Standorte die Lösung schlechthin ist oder ob es nicht auch anders geht.

DOMRADIO.DE: Was wäre denn da Ihr Alternativvorschlag?

Rahner: Natürlich lebt eine solche Idee, die Priesteramtskandidaten an zwei, drei oder gar vier Standorten zu konzentrieren, immer noch von der Grundvoraussetzung, dass man sie anders ausbilden müsste als andere pastorale Berufe. Es gibt aber durchaus an bestimmten Standorten - die Universität Tübingen bzw. die Diözese Rottenburg-Stuttgart zählt dazu - auch ein anderes Modell, nämlich dass man alle pastoralen Berufe gemeinsam in einem Ausbildungsgang hat.

Es gibt dann zwar spezifische Kurse für das jeweilige Berufsziel, aber letztendlich machen alle alles gemeinsam, weil sie später in den Gemeinden natürlich auch zusammenarbeiten müssen. Wenn man von daher denkt, ist mir es nie einsichtig gewesen, wieso eine derart umfassende Ausbildung dann zu einer Konzentration der Standorte führen müsste.

DOMRADIO.DE: Wie sieht es denn insgesamt mit der Anzahl der Studierenden an den Theologischen Fakultäten im Vergleich zu vor 20 oder 30 Jahren aus?

Rahner: Spannend ist, dass die Gesamtzahl der Studierenden eigentlich nicht abgenommen hat. Wir haben vor 20 Jahren vielleicht knapp 20.000 gehabt und haben jetzt gut 18.000. Wenn man genau hinguckt, zeichnet sich ein deutlicher Trend vom Vollstudium hin zu den Lehramtsstudiengängen ab. Ein Kollege hat das mal so formuliert: Es scheinen manche Leute lieber bei Vater Staat als bei Mutter Kirche arbeiten zu wollen. Das ist natürlich angesichts der kirchlichen Entwicklungen durchaus verständlich. Da müssen wir auch kritisch die Frage stellen, ob und inwieweit die katholische Kirche noch eine attraktive Arbeitgeberin ist. Da hat sich sicher einiges an der Außenwahrnehmung verschoben.

Gleichzeitig können wir aber festhalten, dass in Diözesen, die über 20, 30 Jahre tatsächlich auf Laienmitarbeiterinnen und Laienmitarbeiter gesetzt und das auch sukzessive in ihrer Ausbildung wahrgenommen haben, diese in der Pastoral eingesetzt haben, die Standorte eine relativ stabile Zahl an Laientheologinnen und Laientheologen mit Vollstudium haben und an anderen Standorten, die da weniger flexibel waren, sei es aus finanziellen, sei es auch aus anderen Überlegungen heraus, dort haben wir stark sinkende Zahlen.

Aber insgesamt haben wir dennoch den Trend zum Staatsexamen, also auf die zukünftigen Lehrerausbildungsberufe. Dennoch möchte ich den Statistiken kritisch anmerken, dass es mir eigentlich egal ist, ob mir im Seminar ein Vollstudent gegenübersitzt oder eine Lehramtsstudentin, die interessiert am Thema mitarbeitet und die genau so stark interessiert ist an dem, was sie sich hier im Studium erarbeitet. Aber ich weiß aus formalen Gründen, dass für eine Fakultät ein Lehramtsstudent nur halb zählt im Gegensatz zu einer Studierenden, die dann das volle Studium gewählt hat.

DOMRADIO.DE: Aber auf Lehramt studieren muss man nicht zwingend an einer theologischen Fakultät, das geht auch an einem Institut, oder wie ist da die Rechtslage?

Rahner: Die Überlegungen des Wissenschaftsrats aus dem Jahre 2010 empfehlen, dass es mindestens fünf Lehrstühle geben soll, um das gesamte Spektrum der Theologie abzubilden. Wir haben die Erfahrung gemacht - das zeigt sich auch bei entsprechenden Nachfragen -, dass je breiter ein Theologiestudium ausgelegt ist, umso besser die Ausbildung ist. Also Lehramtsstudierende können an Instituten studieren. Das ist auch sinnvoll, weil Lehramtsstudierende häufig sehr ortsnah studieren.

Das heißt, wenn an einem Studienort keine katholische Theologie als Möglichkeit für ein Lehramtsstudium angeboten wird, wird sie sehr, sehr häufig nicht gewählt. Lehramtsstudierende agieren pragmatisch und gucken, was vor Ort studierbar ist. Deswegen sind Institute an den entsprechenden Orten sinnvoll. Aber wir merken, die Qualität hängt sehr stark davon ab, wie breit die Theologie auch an solchen Standorten aufgestellt ist.

DOMRADIO.DE: Ihr Berliner Kollege Georg Essen schreibt in einen Artikel in der Herder Korrespondenz von einer "überkomplexen Fächervielfalt" im Theologiestudium und ruft die Fakultäten dazu auf, ihre Legitimation neu zu begründen. Sind Hochschulstandorte mit religionsübergreifenden Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften eine mögliche Form der Zukunft für die wissenschaftliche akademische Theologie?

Rahner: Das ist ein starkes Argument in der Diskussion. Wenn wir uns die Realität unserer Standorte angucken, dann ist die Ausbildung des pastoralen Personals, auch des pädagogischen Personals, ein Standbein. Aber die meisten unserer Einrichtungen, gerade die größeren Fakultäten sind letztendlich auch Wissenschaftsstandorte.

Das heißt, sie sind in Kooperationen ihrer Universitäten zum Teil national und zum Teil international in Sonderforschungsbereichen, in Forschergruppen, in Graduiertenkollegs verortet; weil eben auch die wissenschaftliche Expertise der Theologie nachgefragt wird, weil Religion als gesellschaftliches Phänomen, als politisches Phänomen der wissenschaftlichen Reflexion bedarf. Und da sind die katholischen Fakultäten ein ganz starker Player innerhalb der wissenschaftsstrategischen Überlegungen an einzelnen Fakultätsstandorten bzw. Universitätsstandorten.

Aber gleichzeitig haben wir das Problem, dass wir im Augenblick die rein rechtliche Absicherung der Standorte in Deutschland nur über die entsprechende Ausbildung des seelsorglichen Personals gesichert haben. Das ist auch etwas, was mich an den Überlegungen der Bischofskonferenz irritiert hat. Man hat es bisher nicht für nötig befunden, sich zu überlegen bzw. auch wirklich ein Rechtsgutachten in Auftrag zu geben, welche Bedeutung diese Konzentrationsprozesse der Priesterausbildung dann für die Standortfrage haben.

Sollte das Nachdenken über die Zukunft der Standorte tatsächlich nur Aufgabe der Theologie selbst sein? Oder hat hier nicht die Kirche, hat nicht die Bischofskonferenz hier die gesellschaftliche Verantwortung, das in ihren Überlegungen zur Zukunft der Priesterausbildung mit zu bedenken bzw. sogar vorher abzuklären. Kann ich also davon ausgehen, dass die Standorte erhalten bleiben, weil sie im großen Netzwerk des wissenschaftlichen Agierens und des Forschens gut verortet sind? Oder bedeutet schlicht und ergreifend der Wegfall der konkordatsrechtlichen Grundlage dann auch den Wegfall der Fakultäten? Ich halte es tatsächlich für bisschen leichtfertig, sich darüber noch keine Gedanken gemacht zu haben und trotzdem mit dieser Entscheidung schon an die Öffentlichkeit zu treten.

DOMRADIO.DE: Nach der Vollversammlung der Bischöfe soll ein Koordinierungsrat zusammentreffen. Wie wird diese Beratung der Bischofskonferenz zur Zukunft der Priesterausbildung und damit auch zur Zukunft der theologischen Fakultäten weitergehen?

Rahner: Da kann ich mich nur dem Beschluss der Vollversammlung des Fakultätentags, der letzte Woche getagt hat, anschließen und sagen: Wir müssen in diesen Prozessen dabeisein. Wir haben eine konkrete Meinung. Wir haben auch Expertise für diese Diskussion und es ist schon erstaunlich, dass keiner von den in der VV versammelten Kolleginnen und Kollegen von diesem Koordinierungsrat wusste und keiner erklären konnte, wie einzelne Kolleginnen oder Kollegen in diesen Rat hineingekommen sind. Wir haben eine breitere Perspektive auf diesen ganzen Diskussionsprozess. Es ist jetzt notwendig, in die Diskussion und ins Gespräch mit den Standorten zu kommen und auch mit den Repräsentationsorganen der wissenschaftlichen Theologie.

DOMRADIO.DE: Eine letzte Frage noch: Welchen Beitrag leistet die akademische Theologie in einer säkularen Gesellschaft? Thomas Sternberg bemängelte auf der Vollversammlung des Fakultätentags einen hohen Bedeutungsverlust der Theologie. Wann habe in einer Talksshow zur Corona-Pandemie jemals ein Theologe gesessen. Brauchen wir an den Universitäten noch Theologie oder mehr Religious studies, also religionsbezogene Wissenschaften?

Rahner: Ich würde das vielleicht ein bisschen anders sehen als Herr Sternberg. Theologen müssen jetzt nicht unbedingt mitreden, wenn es um Virologie oder um pandemische Ereignisse geht, die dann tatsächlich von den entsprechenden Naturwissenschaftlern und den Immunologen beurteilt werden müssen. Wo sie aber stark mitreden, ist, wenn sich z.B. der Ethikrat in Deutschland – es sind ja Theologinnen und Theologen auch im Ethikrat – über die ethischen Konsequenzen der Pandemie reflektiert; wenn es um Fragen der Impfung, der Impfreihenfolge etc. geht, da sind ja Theologinnen und Theologen dabei.

Wenn sich die interdisziplinär arbeitenden Beiräte melden, dann sind ja auch dort Theologinnen und Theologen mit dabei, die ihren Beitrag leisten, diese ethischen Konsequenzen, aber auch die gesellschaftspolitischen Konsequenzen dieser Pandemie zu beurteilen. Ob man das jetzt unbedingt an der Beteiligung in Talkshows messen muss, das würde ich ein bisschen in Zweifel ziehen.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.


Prof. Johanna Rahner / © Friedhelm Albrecht (Universität Tübingen)
Quelle:
DR