Zerstörer Timbuktus angeklagt

Angriff auf das Erbe der Menschheit

Zum ersten Mal wird am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein Verfahren wegen der Zerstörung von Kulturerbe eröffnet. Auf der Anklagebank: ein mutmaßlicher Islamist aus Mali, der in Timbuktu alte Gebäude vernichtete.

Autor/in:
Benjamin Dürr
 Minarett einer Moschee in Timbuktu, Mali.  / © Evan Schneider  (dpa)
Minarett einer Moschee in Timbuktu, Mali. / © Evan Schneider ( dpa )

Mit Spitzhacken, Stahlstangen und Vorschlaghämmern zogen sie durch Timbuktu. Sie begannen, auf Grabmäler einzuhacken und Mauern zu zerschlagen. Am Ende blieben nicht viel mehr als Steinhaufen übrig. In weniger als zwei Wochen waren zehn der bedeutendsten Gebäude der Wüstenstadt im Zentrum des westafrikanischen Landes Mali zerstört.

Ab Montag steht der mutmaßliche Täter in Den Haag vor Gericht: Ahmad al-Faqi al-Mahdi, ein schlanker Araber mit dicken, schwarzen Locken, muss sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen der Zerstörung von Kulturgut verantworten - ein Kriegsverbrechen. Er ist der erste mutmaßliche Islamist vor dem Weltstrafgericht in Den Haag und der erste Angeklagte aus Mali.

Intellektuelles Zentrum

Im 15. und 16. Jahrhundert war die Oasenstadt Timbuktu am südlichen Rand der Sahara ein intellektuelles Zentrum gewesen, von dem aus sich der Islam in Afrika verbreitete. Anfang 2012 kämpften sich bewaffnete Rebellen durch die Wüste Malis und übernahmen die Kontrolle über Timbuktu. Als die Islamisten der Milizen Ansar Dine und "Al-Kaida im Islamischen Maghreb" an die Macht kamen, entschieden sie, die Stätten der alten islamischen Glaubensrichtung zu vernichten.

Al-Mahdi, ein Lehrer und Intellektueller aus der Region, stieß in dieser Zeit zu Ansar Dine. Er wurde zum Chef der örtlichen Moralpolizei ernannt und beriet die neuen Machthaber bei religiösen Fragen. Schließlich soll er laut den Anklägern in Den Haag auch einen Plan zur Zerstörung von Mausoleen und Moscheen mitentwickelt haben. Al-Mahdi organisierte Werkzeuge und schrieb eine Predigt, die beim Freitagsgebet vor den Angriffen verlesen wurde.

Mehr als Wände und Steine

Neun Mausoleen und das Tor zur großen Sidi Yahia-Moschee sollen al-Mahdi und die "Beamten" seiner Moralpolizei angegriffen haben. Neun Stätten davon gehörten zum Weltkulturerbe der Unesco. Jedes Mal war al-Mahdi dabei, wie es in der Anklageschrift des Strafgerichtshofs heißt. Bei fünf Gebäuden soll er eigenhändig geholfen haben.

Die Ankläger in Den Haag sehen darin ein schweres Verbrechen. "Es geht um mehr als nur um Wände und Steine", sagte Chefanklägerin Fatou Bensouda bei einer Sitzung im Frühjahr. Die Ankläger werten in der Vernichtung der Stätten einen Versuch der Islamisten, eine Zivilisation auszulöschen. "Solche Angriffe auf religiöse und historische Gebäude fallen in die Kategorie jener Verbrechen, die die Wurzeln eines Volkes zerstören", sagte Bensouda.

Wichtiger Teil der Identität

Die Gebäude hätten einen wichtigen Teil der Identität Timbuktus dargestellt, heißt es in der Anklageschrift. Die Bewohner hielten sie in Stand, für Generationen von Gläubigen waren es heilige Orte. Bei den Angriffen kam niemand zu Schaden, doch die Islamisten hätten damit den Menschen psychischen und seelischen Schaden zugefügt, argumentieren die Ankläger.

"Die Zerstörung einer Moschee oder einer Kirche ist etwas anderes als die Zerstörung eines Wohnhauses", sagt Colin Kaiser, ein früherer Mitarbeiter der UN-Kulturorganisation Unesco, der während der Jugoslawien-Kriege in den 90er Jahren selbst Zeuge wurde, wie Kulturerbe zerstört wurde. Ein Gotteshaus, das schon Generationen besteht, schaffe Identität, symbolisiere Stabilität und könne Hoffnung stiften, erklärt er. Zudem werde ein Teil des Erbes der Menschheit zerstört.

Täter auf Videos zu sehen

Al-Mahdi will sich möglicherweise schuldig bekennen. Er ist auf Videos zu sehen, die ihn bei der Zerstörung zeigen. Seine Verteidiger bestreiten nicht, dass er am Tatort war - erklärten stattdessen, al-Mahdi habe in der Überzeugung gehandelt, für eine reinere Auslegung des Islams zu kämpfen. Es seien nicht die Gräber zerstört worden, sondern nur die Gebäude, die darüber gebaut waren, um die Geister der Heiligen zu befreien.

Der Prozess in Den Haag hat hohen Symbolwert. Im Irak, in Syrien und in Libyen zerstört die Terrormiliz "Islamische Staat" (IS) bedeutende Kulturgüter. "Gerade in der heutigen Zeit, in der Bilder innerhalb von wenigen Minuten online gestellt werden und so in der ganzen Welt verbreitet werden können, wird die Zerstörung von Kulturgütern vermehrt als Propaganda-Mittel missbraucht", sagt die Juristin Caroline Ehlert, eine Expertin für die Strafverfolgung bei Zerstörung von Kulturgut. Sie hofft, dass der Fall al-Mahdi dieses Kriegsverbrechen stärker ins Licht der Öffentlichkeit rückt.


Quelle:
epd