Zahl der Missbrauchsopfer laut Studie weiter gestiegen

Keine Entwarnung

Auch die Folgen sind dramatisch: Missbrauchsopfer leiden häufiger an Bluthochdruck und Kopfschmerzen. Das Risiko, an Krebs zu erkranken oder einen Herzinfarkt zu bekommen, ist höher. Oft sind sie zudem suizidgefährdet.

Autor/in:
Birgit Wilke
Einsamer Teddybär / © Frank Rumpenhorst (dpa)
Einsamer Teddybär / © Frank Rumpenhorst ( dpa )

Die Kriminologische Forschungsstelle in Niedersachsen hatte 2011 von einem Rückgang der Zahl der Missbrauchsopfer in Deutschland gesprochen. Davon könne keine Rede sein, besagt eine neue wissenschaftliche Studie, die der Ulmer Mediziner Jörg M. Fegert in Berlin vorstellte. Im Gegenteil: Die Zahl der Opfer steigt.

Danach ist fast jeder siebte Bundesbürger als Kind sexuell missbraucht worden. Unter den Befragten ab 14 Jahren gaben danach 13,9 Prozent an, als Minderjährige missbraucht worden zu sein. Sechs Jahre zuvor hatte eine Studie mit derselben Methodik noch einen Wert von 12,6 Prozent ermittelt. Für die Untersuchung wurden rund 2.500 Menschen durch den sogenannten Childhood Trauma Questionnaire befragt, der weltweit eingesetzt wird. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer war 48 Jahre.

Vor allem mehr Frauen hätten angegeben, missbraucht worden zu sein, sagte Fegert. Bei ihnen habe es einen Anstieg von 15,2 auf 18 Prozent in diesem Jahr gegeben. Bei den Männern sei die Häufigkeit mit rund 9,5 Prozent gleich geblieben. Auch die Zahl derjenigen, die schwer missbraucht worden seien, habe zugenommen: Sie stieg demnach von 6,2 auf 7,6 Prozent.

Anstieg bei emotionaler Misshandlung

Zudem habe es einen signifikanten Anstieg bei der emotionalen Misshandlung gegeben. Die Häufigkeit sei von 4,6 auf 6,5 Prozent gestiegen. Betroffene hätten sich in ihrer Familie oder in ihrem Freundeskreis als Kinder häufig zurückgesetzt und als "schwarzes Schaf" gebrandmarkt gefühlt. Auch hier sei der Anstieg im wesentlichen auf höhere Zahlen bei den Frauen zurückzuführen. Dagegen blieben die Häufigkeit bei körperlicher Misshandlung mit rund 6 Prozent laut Studie auf etwa gleichem Niveau. Ein Rückgang finde sich bei der körperlichen Vernachlässigung (28,8 Prozent im Jahr 2011 und 22,5 Prozent im Jahr 2017).

Die Spätfolgen des erlittenen Missbrauchs sind laut Fegert dramatisch: Es gebe klare Zusammenhänge zwischen der Schwere der erlebten Traumata und Suizidversuchen sowie selbstverletzendem Verhalten. Auch Schmerzen und körperliche Erkrankungen würden von den Betroffenen deutlich häufiger genannt als von anderen Menschen.

Betroffene litten unter Kopfschmerzen oder Schlaflosigkeit, erlitten häufiger einen Herzinfarkt oder erkrankten an Diabetes.

Missbrauchsbeauftragter für mehr Prävention

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, warb deshalb für mehr Anstrengungen: Es müsse mehr in Prävention und Hilfen investiert werden. Und es müssten dauerhafte Strukturen für Einrichtungen geschaffen werden, an die sich Betroffene wenden könnten, "um aus dem Drama des Missbrauchs herauszukommen", so Rörig.

Bei dem neuen Gesetz zum Verbot von Hassbotschaften im Internet müsse auch der "digitale Kinder- und Jugendschutz" mitgedacht werden, fügte Rörig hinzu. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hatte einen entsprechenden Entwurf am Dienstag in Berlin vorgestellt. Rörig betonte, er erwarte, dass sich der Bundestag für entsprechende Regelungen einsetze.

Als sehr bedauerlich bezeichnete er es, dass eine Reform des Opferentschädigungsgesetzes in dieser Legislaturperiode offenbar nicht mehr ansteht. Dies habe ihm Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) signalisiert. Eine Reform des Gesetzes steht seit längerer Zeit aus; Rörig hatte sie in den vergangenen Jahren immer wieder angemahnt. Nach dem derzeit geltenden Opferentschädigungsgesetz erhalten viele Betroffene von Missbrauch nach seinen Worten oftmals nicht die Hilfe - etwa durch Therapien -, die sie benötigen. Ein vom Bund und einigen Bundesländern aufgelegter Hilfsfonds, der eigentlich als Übergangslösung geplant war, wurde deswegen bereits verlängert.

Rörig forderte, dass eine Reform des Gesetzes nach der Bundestagswahl von der neuen Regierung sofort auf den Weg gebracht werden müsse und möglichst noch 2018 verabschiedet werden solle. Auch ein solches Monitoring, wie Fegert es vorlegte, müsse regelmäßig wiederholt werden. So könne dann belegt werden, ob und wie entsprechende Hilfsmaßnahmen wirkten.


Quelle:
KNA