Wenn Kirchen umgenutzt oder abgerissen werden

Wohin mit den Emotionen?

Nicht alle Kirchen werden mehr für Gottesdienste genutzt. Was also mit dem Sakralgebäude anfangen? Manche werden umgenutzt oder abgerissen. Für die Gemeindemitglieder oft ein schwer zu ertragender Zustand. Was kann Linderung schaffen?

Bagger reißt eine Mauer vom "Immerather Dom" ein / © Harald Oppitz (KNA)
Bagger reißt eine Mauer vom "Immerather Dom" ein / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sinkende Mitgliederzahlen, die demografische Entwicklung, schwächere Kirchenbindung und damit geringere finanzielle Möglichkeiten – angesichts alldessen werden Kirchen aufgegeben, abgerissen, umgenutzt und profaniert. Welche Emotionen löst das aus bei den betroffenen Gläubigen? 

Prof. Dr. Wolfgang Reuter (Pastoralpsychologe, Psychoanalytiker und Seelsorger): Die Frage ist, wie man mit diesen Betroffenen gemeinsam Zukunft bauen kann, auch wenn man jetzt abreißen, Abschied nehmen muss. Man muss davon ausgehen, dass diese Menschen mit den Kirchen sehr stark verbunden sind. Das ist ja nicht irgendein Ort, der dann aufgelöst wird, sondern es ist ein Ort, der den Menschen in einer besonderen Weise heilig ist.

Die Kirche ist der Ort, in dem die Gemeinde sich versammelt, da feiern sie den Gottesdienst und das Wort Gottes wird gehört. Da sind ganz, ganz viele persönliche Erfahrungen vielleicht auch verortet: die Taufe oder die Erstkommunion. Vielleicht hat man dort geheiratet, die Eltern beerdigt. Der Ort ist sehr positiv für viele Menschen besetzt.

Das ist, glaube ich, erst einmal verständlich, dass das für viele erschütternd ist und katastrophal, wenn sie hören, dass dieser Ort wegfällt und vielleicht sogar einer neuen Nutzung zugeführt wird oder aber ganz einfach auch abgerissen wird.

DOMRADIO.DE: Macht es möglicherweise bei einer Umnutzung einen Unterschied, was beschlossen wird, was da reinkommt?

Reuter: Es gibt schon in Deutschland eine ganze Reihe Modelle, die zeigen, dass solche Umnutzungen ganz gut gelungen sind. Ich glaube sagen zu können, je näher sich die neue Nutzung auch noch an einer kirchlichen, an einer religiösen Nutzung orientiert, umso eher ist das vielleicht zu akzeptieren.

Es gibt schon einige Kirchen, die umgenutzt wurden, sodass da jetzt Begräbnisräume für Urnen sind, also ein Begräbnisort, ein Erinnerungsort für die Verstorbenen. Das ist dann leichter, als wenn man weiß, da wird eine Disco daraus oder ein Einkaufszentrum.

DOMRADIO.DE: Was kann man denn Menschen raten? Wie könnte man den Umgang mit diesem Phänomen "die Kirche bei mir um die Ecke fällt jetzt weg" leichter machen?

Reuter: Das ist eine komplexe Frage. Es ist, glaube ich, eine ganz schwierige Situation, wenn man sagt "ich will es leichter machen". Was vielleicht hilft, ist, wenn sie die Leute mit ins Boot holen. Die Kirchenverantwortlichen, die ja sicherlich die Entscheidungen treffen und treffen müssen, tun das natürlich in der Regel auf ihren eigenen Ebenen, in ihren Kreisen und müssen die Menschen oft damit konfrontieren.

Meine Erfahrung ist, dass die Menschen umso emotionaler und betroffener reagieren, je kurzfristiger ihnen diese Information zukommt. Wenn sie die mit reinholen in die Entscheidungssuche, wenn die ein eigenes Votum bekommen, wenn die selber auch gehört werden dürfen und gehört werden können, ihre Meinung einbringen, dann ist das, glaube ich, sehr wichtig. Das ist eigentlich eine seelsorgliche Aufgabe.

DOMRADIO.DE: Gibt es vielleicht Verabschiedungsrituale, die hilfreich sein könnten?

Reuter: Na klar. Die Kirche ist ein Ort ritueller Erfahrung, rituellen Lebens, wo die Menschen ganz, ganz viele vorgegebene Rituale begehen, aber auch ihre eigenen haben, wenn sie kurz mal reingehen, kurz verweilen. Die Kirche ist ein ritueller Ort.

Und wenn tatsächlich diese Entscheidung gefallen ist und wenn die Kirche einer neuen Nutzung zugeführt wird, dann gibt es auch kirchliche Rituale. Es gibt einen Ritus anlässlich der Profanierung einer Kirche, wo sozusagen der letzte Gottesdienst ganz feierlich begangen wird. Den kann man gut miteinander vorbereiten. Da kann viel an Inhalt nochmal einfließen und eben auch an Emotionalität. Diesen Gottesdienst soll in der Regel der Bischof halten. Der soll sich also auch nicht raushalten aus diesen Dingen. Das ist ja seine Entscheidung. Und dann wird dieser Gottesdienst begangen sozusagen im Übergang an den neuen Ort.

Zu diesem Gottesdienst würde gehören, dass man vielleicht mit einer Prozession – wenn das möglich ist – den neuen Ort aufsucht, wo man künftig als Gemeinde zusammenkommt. Ob es das sofort leichter macht, weiß ich bei der Tiefe des Berührtseins, dass viele Menschen da erleben, nicht zu sagen. Aber es darf auch eine Zeitlang mal schwer sein.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Veranstaltungshinweis

Wenn Kirchen umgenutzt oder aufgegeben werden. Wohin mit den Emotionen?

Katholische Akademie "Die Wolfsburg" 

Donnerstag, 6. September 2018, 19 Uhr

Im Bistum Essen wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Kirchen aufgegeben. Wegen der weiter zurückgehenden Zahl der Gläubigen, der hohen Unterhaltungskosten für Kirchengebäude, aber auch der Transformation der Lebensbezüge der Menschen und ihrer veränderten Teilnahme am kirchlichen Leben ist die Aufgabe und - als "ultima ratio" - auch der Abriss von Kirchen unvermeidlich. Für viele Gläubige bricht damit jedoch eine Welt zusammen. Gefühle von Ohnmacht, Wut, Trauer und Heimatlosigkeit bilden eine brisante emotionale Gemengelage. Wie kann ein praktisch-theologisch reflektierter, seelsorglicher Umgang mit all diesen Verlustgefühlen und Ängsten aussehen? Wie wird trotz tiefgreifender Zäsuren eine Neuorientierung möglich?


Quelle:
DR

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