"Woche des Glaubens" bietet Austausch für Suchende

"Die meisten wollen weg von den Strukturdebatten"

Zurück zu den Wurzeln, sich wieder bewusst mit dem Evangelium befassen. Das wünschen sich die Haupt- und Ehrenamtlichen in Sülz-Klettenberg. Nun sind sie initiativ geworden und haben ein beachtliches Programm auf die Beine gestellt.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Armin Grunwald gehört zu den Ideengebern und dem Vorbereitungsteam der Glaubenswoche in Sülz-Klettenberg / © Beatrice Tomasetti (DR)
Armin Grunwald gehört zu den Ideengebern und dem Vorbereitungsteam der Glaubenswoche in Sülz-Klettenberg / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Eine Woche lang bieten Sie unter dem Motto "mittendrin – außenvor" rund um St. Nikolaus ein vielseitiges Programm für Menschen, die fest in ihrer katholischen Glaubensgemeinschaft verwurzelt sind und sich teils jahrzehntelang als harter Kern ehrenamtlich engagieren, aber eben auch für solche, die sich mit der Zeit von der Kirche verabschiedet haben und dennoch auf der Suche nach Sinn und letzten Wahrheiten sind. Kritiker und Zweifler sind Ihnen ausdrücklich willkommen. Handelt es sich denn wirklich um zwei völlig unterschiedliche Zielgruppen?

Professor Armin Grunwald (Mitinitiator der Glaubenswoche "mittendrin – außenvor" in Sülz-Klettenberg): Wir alle sind und bleiben Suchende. Davon bin ich fest überzeugt, und das verbindet uns letztlich miteinander. Von daher liegen diese beiden Gruppen in der Tat gar nicht so weit auseinander, wie man meinen könnte. Mir sind jedenfalls Menschen suspekt, die keine Fragen mehr zum Glauben haben, die genau wissen, wie Gott tickt und was er von uns will. Sagen wir, uns trennt eher der Blick auf die Kirche als Institution und die Nähe zu vielen einzelnen Aspekten im christlichen Glauben. Dagegen eint uns die Suche nach einem sinnerfüllten Leben: nach Hoffnung, Geborgenheit, Vertrauen, Beheimatung. Insofern sind wir gemeinsam auf dem Weg. Und weil wir alle viele Fragenzeichen haben, ist es gut, mit den eigenen Unsicherheiten nicht alleine zuhause auf dem Sofa zu bleiben, sondern sich darüber auszutauschen, was die einzelnen Menschen hier und da an Antworten finden oder woran sie sich ausrichten. Um es mit einem Lied zu sagen: "Pilger sind wir Menschen – und wir sind nicht allein…" Also, wir sind auf einem gemeinsamen Weg. Und auf diesem Weg bilden sich unterschiedliche Weggemeinschaften, auch wenn ihre Mitglieder auf den ersten Blick oft nicht viel miteinander zu tun haben. In diesen Gemeinschaften spielt dieses "mittendrin" oder "außenvor" keine wesentliche oder auch gar keine Rolle. Im gegenseitigen Respekt und Lernen voneinander gehen wir neben- und miteinander, so dass eigentlich alle bereichert werden.

Willkommen sind in der Sülzer Kirche St. Nikolaus alle, die sich über ihren Glauben oder Unglauben auseinandersetzen wollen / © Beatrice Tomasetti (DR)
Willkommen sind in der Sülzer Kirche St. Nikolaus alle, die sich über ihren Glauben oder Unglauben auseinandersetzen wollen / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Am vergangenen Sonntag hat Pfarrer Schurf diese Glaubenswoche mit einem Gottesdienst eröffnet, bei dem als zentrale Frage im Raum stand: Gibt die Gemeinde mit ihrem Glaubenszeugnis noch die gewünschte Orientierung, den ersehnten Halt? Nach fünf Tagen können Sie nun eine vorläufige Bilanz ziehen. Schließlich wollten Sie Menschen von „draußen“ und von „drinnen“ zusammenbringen, um über ihren Glauben bzw. ihren Unglauben zu sprechen…

Grunwald: Bisher geht das Konzept auf. Es gibt viel Zustimmung, und manche sind geradezu glücklich, dass mal nicht die sonst üblichen kirchenpolitischen Themen auf der Tagesordnung stehen, sondern die Grundfragen nach den Fundamenten des Glaubens. Die meisten wollen weg von den Strukturdebatten. Das wird uns immer wieder gespiegelt. Hier ist eine allgemeine Ermüdung festzustellen – so wichtig diese Prozesse auch sein mögen, weil deren Ergebnisse natürlich auch die Möglichkeiten der zukünftigen Pastoral beeinflussen werden. Außerdem hatten wir uns darauf eingestellt, Auffangbecken für viel aufgestauten Ärger zu sein. Das kann ich so aber bislang nicht feststellen. Die Menschen verstehen, dass es mal um andere Fragen geht als um die, die vorrangig die Institution Kirche betreffen. Dennoch: Trotz großen Interesses und viel Sympathie für unsere Initiative sind die Teilnehmerzahlen überschaubar. Das will ich auch nicht schönreden. Da ist noch Luft nach oben.

DOMRADIO.DE: Was beobachten Sie?

Armin Grunwald, Mitinitiator von "mittendrin – außenvor"

"Wir kommen mit vielen ins Gespräch, die jahrelang keine Kirche mehr betreten haben. Andere sind neugierig geworden und sehen zum ersten Mal unser Gotteshaus von innen, obwohl sie schon lange im Viertel wohnen."

Grunwald: Dass sich das Innere des Kirchenraums St. Nikolaus mit dem Stadtviertel verbindet und umgekehrt. Das freut mich sehr. Die strikte Grenze der Kirchentür ist durchlässig geworden, eben auch weil die Tür den ganzen Tag offen steht und als Einladung verstanden wird. Unser tägliches Kirchencafé ragt gewissermaßen über den Kirchplatz in die Vorhalle der Kirche hinein. Hier ergeben sich viele Gespräche: von Alltagsthemen bis hin zu ernsten und auch ganz radikalen Fragen wie "Existiert Gott überhaupt?" oder dem Aspekt "Wie komme ich vom Glauben ins Handeln?", um nur einen der Grundvollzüge von Kirche, die Caritas, anzusprechen. Wir kommen mit vielen ins Gespräch, die jahrelang keine Kirche mehr betreten haben. Andere sind neugierig geworden und sehen zum ersten Mal unser Gotteshaus von innen, obwohl sie schon lange im Viertel wohnen. Wieder andere setzen sich mit ihren Kindern auf die Altarstufen und zeigen ihnen, was sie selbst aus ihrer Kindheit noch behalten haben. Ich würde sagen, die frühere Unnahbarkeit von insbesondere katholischen Kirchenräumen haben wir erfolgreich durchbrochen.

Was mehr als nur ein Zeichen sein sollte: die weit geöffnete Tür von St. Nikolaus / © Beatrice Tomasetti (DR)
Was mehr als nur ein Zeichen sein sollte: die weit geöffnete Tür von St. Nikolaus / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Sie sagen, es erschöpft die Menschen, dass es in der Kirche mehrheitlich nur noch um Strukturdebatten geht und weniger um das, was den Kern des Christseins ausmacht, nämlich ein Leben aus dem Evangelium heraus. Was haben Sie sich als Gegenentwurf dazu ausgedacht?

Grunwald: Seit Jahren sind wir in unserer Gemeinde verstärkt den Inhalten dieser christlichen Frohbotschaft, die für uns ja wie ein Kompass ist, auf der Spur und stellen die Geschichten der Bibel in den Mittelpunkt, aber eben auch Themen, die sich daraus ableiten lassen, wie zum Beispiel "Freiheit und Glaube", wozu wir gestern Abend mit der Ethikerin Christiane Woopen und dem Theologen Michael Seewald aus Münster ein ganz eigenes Podium mit großer Resonanz veranstaltet haben. Gerade der Begriff "Freiheit" ist in der Geschichte des Christentums nicht oft zu finden; vielmehr wird ihr misstraut. Dabei gilt es doch, die befreiende Kraft des Evangeliums zu neuem Leben zu erwecken, zurück zu den Wurzeln zu gehen. Auch wenn das vielleicht keine wirklich originelle Idee ist, weil das auch die mittelalterlichen Bettelorden und schon viele andere vor uns getan haben, es diese Erneuerungsbewegungen immer gab, ist das in meinen Augen doch ein Schatz, den wir da haben. Und wir stellen nun die Frage, was uns dieser Schatz in Zeiten von Globalisierung, Klimawandel, Digitalisierung und Bedrohung durch einen russischen Angriffskrieg in Europa heute noch zu sagen hat.

DOMRADIO.DE: Apropos: Wir leben zurzeit in einer Welt massiver Krisen. Bringen die Pandemie, der Ukraine-Krieg oder die Angst vor mangelnder Energieversorgung die Menschen wieder mehr auf die Fragen nach dem Eigentlichen?

Von philosophischer und theologischer Tiefe war das Gespräch zwischen Ethikerin Christiane Woopen und dem Dogmatiker Michael Seewald / © Beatrice Tomasetti (DR)
Von philosophischer und theologischer Tiefe war das Gespräch zwischen Ethikerin Christiane Woopen und dem Dogmatiker Michael Seewald / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Grunwald: Diese Hoffnung einiger Zukunftsforscher, dass der Mensch durch die Pandemie seine Lektion gelernt hat und demütiger mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen umgeht, hat sich nicht bestätigt. Vielleicht ist es nur allzu menschlich, dass das Ende der Pandemie eher einen enormen Nachholbedarf, was Urlaube, Feiern und Gemeinschaftsaktionen angeht, offen gelegt hat. Eine Umorientierung zu mehr Nachhaltigkeit ist bisher jedenfalls nicht zu beobachten. Auch in Bezug auf das eigene Wohlergehen bei den Themen Ukraine-Krieg oder Strom- und Gaspreise interessieren mehr die Sorgen, als sich nun mit den wirklich letzten Fragen zu beschäftigen. Als Wissenschaftler, der ich mich mit Technik-Ethik und Nachhaltigkeitsforschung auseinandersetze, finde ich das ernüchternd. Auch wenn ich für ein solches Verhalten Verständnis aufbringen kann, weil die Menschen zutiefst verunsichert sind und sich in ihren Lebensvollzügen existenziell gefährdet sehen.

Armin Grunwald, Mitinitiator von "mittendrin – außenvor"

"Als Wissenschaftler bin ich skeptisch, dass sich die Menschen groß verändern, aber als Christ bin ich zuversichtlich und fühle die unbedingte Verantwortung, dass wir etwas zum Guten wenden können."

Trotzdem glaube ich, dass hinter diesen sicher berechtigten Sorgen die großen Fragen nach Sinn, Glück und auch Erlösung, wie wir Christen das nennen, nicht kleiner werden oder gar verschwinden und man diese schon gar nicht mit Geld und Wohlstand aufwiegen kann, sondern es hier auf die Haltung und den Glauben der Menschen ankommt. Anders gesagt: Als Wissenschaftler bin ich skeptisch, dass sich die Menschen groß verändern, aber als Christ bin ich zuversichtlich und fühle die unbedingte Verantwortung, dass wir etwas zum Guten wenden können. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass viele Menschen in sich die Sehnsucht nach genau solchen Antworten spüren, die sich hinter allem scheinbar Vordergründigen verbergen, oft nicht im Blick sind, aber doch ein Leben in Fülle verheißen.

DOMRADIO.DE: Die Palette Ihrer Gäste, die Sie zu Podiumsgesprächen eingeladen haben, reicht von Sozialpfarrer Franz Meurer bis hin – Sie erwähnten es schon – zu der Ethikerin Christiane Woopen. Sie haben Angebote für Familien, Jugendliche, Menschen, die Musik lieben oder gerne tanzen, und solche, die gerne diskutieren. Auch gemeinsame Gebetszeiten gehören als fester Bestandteil zu dieser Glaubenswoche. Was soll am Ende dieses Projektes stehen?

Pfarrer Franz Meurer folgte an einem Abend der Einladung als Podiumsgast / © Beatrice Tomasetti (DR)
Pfarrer Franz Meurer folgte an einem Abend der Einladung als Podiumsgast / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Grunwald: Wenn die Glaubenswoche am kommenden Sonntag endet, haben wir hoffentlich ein Fundament gelegt, um die jetzt begonnenen Gespräche weiterführen zu können. Ich würde mir wünschen, dass wir die Trennung von "innen" und "außen" überwinden, dass unsere Türen – sprichwörtlich – offen bleiben und dass sich die Menschen weiterhin mit unseren Sinnangeboten auseinandersetzen – unabhängig davon, wie sie zur Institution Kirche stehen. In diesem Sinne wird die "Woche des Glaubens" auch nicht enden, sondern erst richtig losgehen.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Quelle:
DR