Wo bleibt der Staat bei Aufarbeitung von Missbrauch?

Kommission appelliert an die Politik

Über 2.600 Betroffene und Zeitzeugen haben sich bei der unabhängigen Aufarbeitungskommission gemeldet. Laut deren Fazit müsse der Staat mehr tun, denn Täterorganisationen stoßen bei eigener Aufarbeitung schnell an Grenzen.

Autor/in:
Birgit Wilke
Symbolbild verzweifelte Frau / © mrmohock (shutterstock)
Symbolbild verzweifelte Frau / © mrmohock ( shutterstock )

Die unabhängige Aufarbeitungskommission hat an die Politik appelliert, bei der Aufarbeitung von Missbrauch mehr Verantwortung zu übernehmen.

Es brauche eine gesetzliche Grundlage, um die Rechte Betroffener zu stärken und die Kommission dauerhaft zu etablieren, hieß am Dienstag in Berlin. Die Ampelfraktionen hatten sich auf ein solches Gesetz verständigt, das auch das Amt der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Kerstin Claus, aufwerten soll. Bislang hat die Bundesregierung dazu keinen Gesetzentwurf vorgelegt.

Was macht der Staat?

Die Berliner Soziologin Barbara Kavemann sagte als Mitglied der Kommission, wenn die Kirchen Missbrauch selbst aufarbeiteten, sei es berechtigt zu fragen, wo da der Staat bleibe. "Wenn Täterorganisationen die Aufarbeitung überlassen wird, stößt das innerhalb kürzester Zeit an Grenzen", so Kavemann. Es trete auch ein "gewisser Ermüdungseffekt" ein. 

Stephan Rixen (Deutscher Ethikrat)

Der Kölner Staatsrechtler Stephan Rixen - ebenfalls Mitglied der Kommission - betonte, der Staat müsse sich die Frage gefallen lassen, was er zum Schutz von Kindern unterlassen habe. Er verwies dabei auf Missbrauchsfälle in Schulen oder mangelnde Unterstützung durch Jugendämter etwa bei Missbrauch in Familien. Letztlich gehe es dabei auch um Entschädigungsfragen. Der Staat habe hier eine Vorbildfunktion.

Weiter erklärte Rixen, das geplante Gesetz müsse die Rechte Betroffener auf Aufarbeitung, vor allem das Recht auf Akteneinsicht, stärken. Außerdem sollte es sicherstellen, dass Aufarbeitung eine Daueraufgabe der Institutionen sei. Er verwies dabei auf Religionsgemeinschaften, Sportvereine oder Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege. Angela Marquardt plädierte als Mitglied des Betroffenenrats dafür, in allen Berufen verbindliche Ausbildungskriterien für Prävention und Umgang bei Fällen von sexueller Gewalt auszuarbeiten. Es gebe viele Hebel dafür, wie Staat und Gesellschaft bei dem Thema mehr Verantwortung übernehmen könnten.

Arbeit der Kommission bis Ende 2025 gewährleistet

Die unabhängige Aufarbeitungskommission ist bundesweit zuständig und war 2016 vom damaligen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, initiiert worden. Die Kommission soll Ausmaß, Art und Folgen von sexuellem Kindesmissbrauch in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR untersuchen.

Symbolbild Missbrauch / © Alex Cherepanov (shutterstock)
Symbolbild Missbrauch / © Alex Cherepanov ( shutterstock )

Das Bundeskabinett hatte die Arbeit der Kommission zunächst bis Ende 2023 verlängert. Im November beschloss das Kabinett eine weitere Verlängerung. Dadurch ist die Arbeit der aus sieben ehrenamtlichen Mitgliedern bestehenenden Kommission bis Ende 2025 gewährleistet. Neue Vorsitzende wird die Esslinger Sozialpädagogin Julia Gebrande. Sie tritt die Nachfolge der Frankfurter Sozialpädagogin Sabine Andresen an, die 2021 von diesem Amt zurücktrat.

Bis Ende 2023 haben sich den Angaben zufolge mehr als 2.600 Betroffene und Zeitzeugen gemeldet. Auf dieser Grundlage hat die Kommission Empfehlungen für Aufarbeitungsprozesse in Institutionen entwickelt, ein Portal mit Geschichten Betroffener aufgebaut, 14 öffentliche und nicht-öffentliche Veranstaltungen durchgeführt, 12 Studien und andere Publikationen veröffentlicht, 13 Forschungsprojekte initiiert und gefördert sowie sich an verschiedenen Aufarbeitungsprozessen in Institutionen beteiligt.

Quelle:
KNA