Wissenschaftler kritisieren Wahlprogramme als unverständlich

Bandwurmsätze und Wortungetüme

Wahlen sind das Hochamt der Demokratie. Und Wahlprogramme sollten dabei helfen, dass die Wähler ihre vornehmste Pflicht gut erfüllen können. Sie sind allerdings offenbar für viele Bürger ziemlich unverständlich.

Autor/in:
Christoph Arens
Wahlplakate in Berlin / © Britta Pedersen (dpa)
Wahlplakate in Berlin / © Britta Pedersen ( dpa )

Bandwurmsätze mit bis zu 90 Wörtern, Wortungetüme wie "Gebärdensprachdolmetschung" oder englische Fachbegriffe wie "CO2 Carbon Capture and Storage": Glaubt man einer an diesem Donnerstag veröffentlichten Analyse von Sprachwissenschaftlern der Universität Hohenheim, haben die Parteien in ihrem Programmen zur Bundestagswahl 2017 eine "kommunikative Chance verpasst".

Für viele Laien seien die Programme "im Durchschnitt nach wie vor unverständlich", sagt der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider, der mit seinem Team die Texte analysiert hat. "Mit ihren teilweise schwer verdaulichen Wahlprogrammen schließen die Parteien einen erheblichen Teil der Wähler aus."

Schwer verdauliche Sprache

Ein kleiner Trost: Die Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2013 seien noch unverständlicher gewesen, so die Wissenschaftler. Dennoch sei die weiter schwer verdauliche Sprache verwunderlich, weil sich alle Parteien mehr Transparenz und Bürgernähe auf die Fahnen geschrieben hätten.

Das längste Wahlprogramm kommt von den Grünen (238 Seiten mit 60.206 Wörtern), das kürzeste von der AfD (74 Seiten mit etwa 16.010 Wörtern). Immerhin: Insgesamt fassen sich die Parteien 2017 deutlich kürzer als 2013 (im Schnitt 37.000 statt 46.000 Wörter).

Mit Hilfe einer Analyse-Software fahndeten die Wissenschaftler unter anderem nach überlangen Sätzen, Fachbegriffen, Fremdwörtern und zusammengesetzten Wörtern. Anhand dieser Merkmale bildeten sie den "Hohenheimer Verständlichkeitsindex", der von 0 (völlig unverständlich) bis 20 (sehr verständlich) reicht.

Leicht gestiegene Verständlichkeit

Im Durchschnitt ist die Verständlichkeit der aktuellen Bundestagswahlprogramme mit 9,1 Punkten im Vergleich zu 2013 gestiegen. Damals lag der Mittelwert bei 7,7 Punkten. Insgesamt schneidet das Programm von CDU/CSU mit einem Wert von 10,8 (nach 9,9 bei der letzten Wahl) am besten ab.

Nur der Bayernplan der CSU ist mit 12,3 formal noch verständlicher. Die Grünen (10,0) sind wie bei der letzten Bundestagswahl auf Rang 2 (damals: 8,4). Auf dem dritten Platz liegt die Linke mit 9,3 (2013: 7,7). Es folgen die FDP (9,1) und die SPD (8,4). Am unverständlichsten ist laut Analyse das Programm der AfD (7,3). "Die vermeintliche Volksnähe, die die AfD für sich beansprucht, pflegt sie in ihrer Sprache jedenfalls überhaupt nicht", stellt Brettschneider fest.

"Race to the Top" (Die Grünen), "Braindrain" (Die Grünen), "Failed States" (AfD), "Economic Partnership Agreements" (SPD), "Genome-Editing" (FDP), "Share Deals" (Die Linke) oder "one-in, one-out"-Regel" (CDU/CSU): Die Programme enthalten laut Analyse zahlreiche Fremd- und Fachwörter. Vor allem für Leser ohne politisches Fachwissen stellten sie eine große Verständlichkeitshürde dar, kritisiert Brettschneider.

Wort-Ungetüme

Einen ähnlichen Effekt hätten Wortzusammensetzungen. Einfache Begriffe würden so zu Wort-Ungetümen, wie beispielsweise "Erwerbsminderungsrentnerinnen" (Die Linke, SPD), "Statusfeststellungsverfahren" (FDP) oder "Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung" (FDP). Auch zu lange Sätze erschweren das Verständnis: "Der längste Satz findet sich im Programm der FDP mit 90 Wörtern. Aber auch bei allen anderen Parteien tauchen überlange Sätze mit mehr als 50 Wörtern auf", sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Claudia Thoms.

Begrifflich stehen die "Menschen" und "Deutschland" in allen Programmen im Vordergrund. Die Oppositionsparteien verwenden außerdem besonders häufig die Wörter "müssen", "sollen" und "mehr". "Auffällig ist, dass auch die Regierungspartei SPD in ihrer Wortwahl eher dem Oppositionsmuster folgt", sagt Brettschneider. Sich selbst erwähnen die meisten Parteien eher selten. FDP und AfD sind Ausnahmen: Ihre Selbstbezeichnungen ("Freie Demokraten") stechen in den Worthäufigkeiten deutlich hervor.

"Alle Parteien könnten verständlicher formulieren", ist Brettschneider überzeugt. "Das beweisen gelungene Passagen in den Einleitungen und im Schlussteil." Die holprige Sprache führt der Kommunikationsexperte darauf zurück, dass die Themenkapitel das Ergebnis innerparteilicher Expertenrunden seien. Zudem nutzten Parteien abstraktes Verwaltungsdeutsch auch, um unklare oder unpopuläre Positionen zu verschleiern.


Quelle:
KNA
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